Travis Todd, Co-Founder Silicon Allee © Travis Todd

14 Juli 2025

„Spin-offs sollten als sauberer, positiver Ausstieg aus der Forschung betrachtet werden – nicht als riskante Nebenprojekte.“

Die Umsetzung bahnbrechender Forschungsergebnisse in praktische Anwendungen ist seit langem eine Herausforderung für die Innovationslandschaft in Europa – doch Berlin könnte diese Lücke schneller schließen als erwartet. An der Schnittstelle zwischen der Energie von Start-ups und modernster Wissenschaft entsteht ein neues Modell: schneller, gründerfreundlicher und in der Gemeinschaft verwurzelt.

Travis Todd, Co-Founder von Silicon Allee am Fraunhofer HHI, hat in den letzten zehn Jahren die Berliner Tech-Szene von Grund auf mitgeprägt. Jetzt hilft er dabei, die Entstehung von Deep-Tech-Spin-offs neu zu definieren – nicht durch Top-down-Vorgaben, sondern durch die Zusammenführung von Forschern und Gründern mit gemeinsamen Zielen.

In diesem Interview erzählt Travis, wie seine Reise vom Start-up-Gründer zum Ökosystembauer die heutige Arbeit von Silicon Allee beeinflusst, warum der traditionelle Technologietransfer nicht funktioniert und warum kulturelle Veränderungen – und nicht nur strukturelle Reformen – der Schlüssel zur Erschließung des Innovationspotenzials Europas sind. Wir sprechen auch darüber, was ein großartiges KI-Start-up ausmacht, wie Berlin im Vergleich zu den USA abschneidet und welche neuen Technologien die nächste Welle der Innovation prägen könnten.

 

Hallo Travis, vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Du hast dich vom Start-up-Gründer zum Ökosystembauer und dann in die Forschung begeben. Wie hat deine Perspektive als „Insider, der zum Outsider wurde” die Gestaltung des Venture-Modells von Silicon Allee am Fraunhofer HHI geprägt – und was war die überraschendste Erkenntnis, die du in dieser Rolle gewonnen hast?

Da ich aus der Start-up-Welt komme, habe ich gesehen, wie schnell sich Dinge entwickeln können, wenn die Anreize stimmen. Am Fraunhofer HHI entwickeln wir ein Modell, das die Agilität von Start-ups mit fundiertem wissenschaftlichem Fachwissen verbindet – und das bedeutet, die Annahmen, die dem traditionellen Technologietransfer zugrunde liegen, zu überdenken.

Eine der größten Überraschungen war, wie unterschiedlich Forscher und Gründer mit Risiken, Eigentumsverhältnissen und Ergebnissen umgehen – aber auch, wie ähnlich ihre Motivationen tatsächlich sind. Beide wollen reale Probleme lösen und etwas nachhaltig bewirken. Der Schlüssel liegt darin, ein System zu finden, das die Integrität der Forschung respektiert und gleichzeitig das Tempo und die Flexibilität unterstützt, die Start-ups brauchen.

 

Wie würden Sie als Leiter von Silicon Allee die einzigartige Rolle beschreiben, die Silicon Allee im Start-up-Ökosystem Berlins spielt?

Silicon Allee begann vor über einem Jahrzehnt als Basisinitiative, um Gründer zusammenzubringen – bevor Berlin überhaupt über ein nennenswertes Ökosystem verfügte. Wir sind weiterhin gemeinschaftsorientiert und international ausgerichtet und helfen Neuankömmlingen, sich schnell einzuleben und Chancen zu nutzen.

Jetzt arbeiten wir mit dem Fraunhofer HHI zusammen und verbinden die Energie dieser Community mit erstklassiger Forschung. Es ist eine einzigartige Mischung: institutionelle Glaubwürdigkeit trifft auf Gründer-Empathie. Diese Kombination hilft uns, schnell voranzukommen, Vertrauen aufzubauen und Spin-offs zu schaffen, die tatsächlich eine Chance haben.

 

In einem Vortrag auf der GITEX Europe in Berlin haben Sie den Technologietransfer heute als „fünfköpfiges Monster“ beschrieben – von Lizenzgebühren und Kapitalübernahmen bis hin zu Vetorechten und langwierigen Verhandlungen. Welche dieser Hindernisse müssen am dringendsten beseitigt werden, und wie geht das Fraunhofer HHI konkret vor?

Wenn ich mich für eine entscheiden müsste, wäre es die Kultur. Die Standardmentalität in den meisten Institutionen ist auf Kontrolle ausgerichtet – Kontrolle über geistiges Eigentum, Prozesse, Risiken – und das funktioniert für Start-ups einfach nicht. Aber Kultur ist auch am schwierigsten zu verändern.

Deshalb beginnen wir mit dem, was wir schnell ändern können: den Verträgen. Das bedeutet keine Lizenzgebühren, keine 20 %ige Kapitalbeteiligung, keine Vetorechte. Wir verwenden auch virtuelle Anteile anstelle von Aktien, um die Kapitalstruktur übersichtlich zu halten. Diese kleinen strukturellen Veränderungen können Raum für größere Denkweisen schaffen.

 

Silicon Allee engagiert sich stark dafür, Unternehmer mit Investoren und Experten zusammenzubringen. Können Sie einige Beispiele nennen, wie dieses Netzwerk das Wachstum von Start-ups konkret beschleunigt hat?

Auf jeden Fall. Einer der besten Aspekte unseres Netzwerks ist, wie natürlich diese Verbindungen zu echter Zugkraft werden. Wir hatten Berater, die so begeistert waren, dass sie schließlich in die Unternehmen investiert haben – und in einem Fall hat diese Investition bereits zu einem erfolgreichen Exit geführt. Einige Berater sind sogar Mitbegründer geworden.

Für uns geht es darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem kluge, werteorientierte Menschen frühzeitig zueinander finden und mit dem Aufbau beginnen, noch bevor die Formalitäten erledigt sind.

 

Europa gibt jährlich über 300 Milliarden Euro für Forschung aus, doch weniger als 10 % davon werden jemals kommerziell verwertbar. Abgesehen von den strukturellen Reformen, die Sie umgesetzt haben, welche kulturellen oder mentalen Veränderungen sind Ihrer Meinung nach in den Forschungs- und Investitionskreisen Berlins notwendig, um diesen Prozentsatz wirklich zu steigern?

Wir müssen aufhören, Start-ups als Nebenschauplatz der Forschung zu betrachten. Stattdessen sollten wir sie als eine der legitimsten und effektivsten Möglichkeiten betrachten, einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen.

Das bedeutet, dass Kommerzialisierungspläne in Förderanträge aufgenommen werden müssen, dass nicht nur Veröffentlichungen, sondern auch die Umsetzung belohnt werden müssen und dass man sich bewusst macht, dass Misserfolge Teil des Weges sind. Ausgründungen sollten als sauberer, positiver Ausstieg aus der Forschung gesehen werden – nicht als riskante Nebenprojekte.

 

Wie schätzen Sie die deutsche Deep-Tech-Szene und insbesondere Berlin im Vergleich zum amerikanischen Markt in Bezug auf Innovation, Finanzierung und Kommerzialisierung ein?

Wir blicken oft neidisch auf die USA, aber in Wirklichkeit sind nur wenige amerikanische Universitäten wirklich gut darin, Deep-Tech-Unternehmen auszugliedern. Einrichtungen wie die TUM in München sind bereits jetzt den meisten von ihnen überlegen.

Europa hat enormes Potenzial, insbesondere angesichts der Höhe unserer Forschungsinvestitionen. Aber die USA sind besser in der Finanzierung, schneller in der Kommerzialisierung und die Unternehmen sind eher daran gewöhnt, mit Start-ups zusammenzuarbeiten. Außerdem kauft die US-Regierung aktiv bei Start-ups ein. In Deutschland haben wir zwar Milliardäre, aber wir brauchen mehr von ihnen, die Innovationen unterstützen.

 

Aus Ihrer Erfahrung als Cupid-Investor: Auf welche Eigenschaften oder Trends achten Sie bei KI-Start-ups, die sie sowohl auf dem deutschen als auch auf dem amerikanischen Markt auszeichnen?

Ich bin von Teams mit echter Fachkompetenz begeistert – Gründer, die ihre Nische besser kennen als jeder andere und Zugang zu Daten oder Vertriebskanälen haben, die anderen nicht zur Verfügung stehen.

Im Bereich KI suchen wir insbesondere nach Start-ups mit kreativen Markteinführungsstrategien, denn großartige Technologie allein reicht nicht aus. Ein klassisches Beispiel dafür ist der frühe Craigslist-Trick von Airbnb. Gründer, die kreative, unkonventionelle Wege finden, um zu wachsen – das ist es, was meine Aufmerksamkeit erregt.

 

Welche neuen Technologien oder Sektoren innerhalb der KI und Deep Tech werden Ihrer Meinung nach die nächste Innovationswelle in Berlin und darüber hinaus prägen?

Dual-Use-Technologien werden eine große Rolle spielen, insbesondere angesichts der Aufstockung der Verteidigungsbudgets in Europa. Auch Green Tech und Nachhaltigkeit sind noch weitgehend unerschlossen.

Eine der größten Chancen liegt in der sicheren Erschließung isolierter Daten für KI. In institutionellen Systemen steckt so viel Potenzial. KI wird nicht nur eine eigene Kategorie sein, sondern als Beschleuniger alle anderen Bereiche vorantreiben.

 

Vielen Dank für das Gespräch.