Künstliche Intelligenz soll soziales und ökologisches Verhalten so einfach wie möglich machen.
Deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher sind mehrheitlich bereit, nachhaltiger zu konsumieren: 68 Prozent würden mehr bezahlen, wenn ein Produkt der Umwelt nachweislich keinen Schaden zufügt. So lautet das Ergebnis einer Befragung von 2.500 Konsumentinnen und Konsumenten, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) Anfang 2020 durchgeführt hat. Immer öfter werden die Verbraucherinnen und Verbraucher auch selbst aktiv, um sich über das Produkt zu informieren. Vor allem Materialien und Inhaltsstoffe seien entscheidende Faktoren für ihre Kaufentscheidung, meinen 46 Prozent. Allerdings: „Bisher kostet es Benutzer*innen noch sehr viel Zeit, zu nachhaltigeren Produktalternativen zu recherchieren”, gibt Ruben Korenke, Projektleiter des „Green Consumption Assistant (GCA)“ gegenüber reset.org zu bedenken, „Ratgeber sind räumlich und zeitlich oft zu weit weg. Bei der Kaufentscheidung sind die Informationen dann nicht mehr präsent.” Deshalb würden selbst Menschen mit hohem Umweltbewusstsein wenig nachhaltig konsumieren.
Nah an der Kaufentscheidung
Genau hier kommt der GCA ins Spiel: „Wir wollen online nachhaltiges Verhalten und Kaufen so einfach wie möglich machen“, bringt Korenke das Ziel der Zusammenarbeit der TU Berlin, der Beuth Hochschule für Technik und der nachhaltigen Berliner Suchmaschine Ecosia GmbH, auf den Punkt. „Wir wissen, dass sich viele Menschen gern nachhaltiger verhalten würden, es aber aktuell noch nicht tun. Diesen Menschen wollen wir es leichter machen, sich für nachhaltige Alternativen zu entscheiden.“ Damit das gelingt, soll der smarte Assistent als Browser-Extension künftig in Suchmaschinen wie Google oder Shopping-Plattformen wie Amazon funktionieren. Wird ein Produkt gesucht, informiert der GCA den oder die Interessierte*n direkt auf der Plattform über CO2-Emissionen,
Herstellungsbedingungen oder den ökologischen Fußabdruck des gewünschten Artikels. Gleichzeitig liefert er Links zu nachhaltigeren Alternativen, die ökologisch und sozial gerechter hergestellt wurden. „Hat man den GCA installiert, so schlägt er zum Beispiel direkt bei der Suche nach einem Smartphone auf Amazon nachhaltige Alternativen vor“, nennt Korenke ein konkretes Beispiel, „das können dann besonders nachhaltige Produkte wie beispielsweise ein Fairphone sein.“ Auch Hinweise auf eine längere Nutzung des bisherigen Smartphones oder Tipps zu Repair-, Verleih- oder Sharing-Optionen, die den Kauf von Produkten gar nicht erst nötig machen, werden inkludiert. Denn „manchmal könnte aber auch die nachhaltigste Option sein, gar nicht zu konsumieren“, so Korenke, der sich neben der Leitung des Projekts GCA im Rahmen seiner Promotion mit Nudging für nachhaltigen Konsum beschäftigt. Dabei geht es darum, wie die Situationen, in denen wir Entscheidungen treffen, die Umweltwirkung dieser Entscheidungen beeinflussen.
Künstliche Intelligenz macht’s möglich
Als Basis für die Empfehlungen des GCA, das im Oktober 2020 am Einstein Center Digital Future in Berlin entstand, soll eine Datenbank mit Nachhaltigkeitsinformationen über Produkte und Dienstleistungen dienen. Genau hier liegt aber eine der größten Herausforderungen des nachhaltigen Projekts: Da diese Datengrundlage kaum vorhanden ist, muss sie erst aufgebaut werden. „KI kann uns helfen, die Nachhaltigkeitsdaten zu vielen Produkten aus unterschiedlichen Datenquellen zusammenzuführen“, so Korenke. Er und sein Team setzen dabei auf die Möglichkeiten von Maschinellem Lernen. Auf Basis dieser vorhandenen Datensätze will die Forschungsgruppe der TU eine Grundlage für den Konsumassistenten schaffen. Im ersten Schritt liegt der Fokus auf Produktkategorien und Durchschnittswerten, Daten zu einzelnen Produkten sollen folgen. Nicht nur dabei kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz: „Sie kann uns helfen, den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort für die eine Nachhaltigkeitsempfehlung zu finden. Unsere Modelle lernen zum Beispiel, nach welcher Suche eine Smartphone-Empfehlung hilfreich sein kann“, nennt Korenke weitere Anwendungen, und fügt hinzu: „Bei all diesen Dingen ist wichtig, dass wir mit der KI maßvoll umgehen – der Energieaufwand für das Training von KI-Modellen kann beträchtlich sein und das gilt es, im Blick zu behalten.“
KI: Tech Fix oder Ökoproblem?
Von KI-gesteuerten sauberen Windparks über nachhaltige Lieferketten bis zur automatisierten Auswertung von Satellitenbildern zur Steuerung von Hilfsmaßnahmen in Krisenregionen – die Liste von „Sustainable AI Use Cases“ wächst stetig. Allein in Deutschland beschäftigen sich laut KI-Landkarte rund 150 Projekte damit, mit Hilfe von KI die drängenden sozialen und ökologischen Probleme zu lösen. Mancherorts wird die Technologie als „game changer for climate change and the environment“ gehypt. Einer Studie zufolge könnte etwa die Anwendung von KI-Hebeln die weltweiten Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um vier Prozent reduzieren. Das wären insgesamt 2,4 Gigatonnen CO2-Emissionen – diese Menge entspricht der gesamten erwarteten Emissionsmenge von Australien, Kanada und Japan im Jahr 2030. Das Potenzial ist zweifellos groß. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, wie viel Energie und Ressourcen KI-Systeme wie Deep Learning selbst für Rechenprozesse benötigen. Einer exemplarischen Studie der University of Massachusetts zufolge verursacht das Trainieren eines leistungsstarken und modernen künstlichen neuronalen Netzes, das zur Spracherkennung eingesetzt wird, 0,65 Tonnen CO2. Das ist fünfmal so viel CO2, wie ein Auto während seiner gesamten Lebensdauer ausstößt. Oder anders ausgedrückt: Das entspricht einem Hin- und Rückflug von Berlin nach Madrid.
„Der Energie- und Ressourceneinsatz, den KI nach sich ziehen kann, ist bislang nur selten ausreichend reflektiert worden. Diesen noch stärker in den Fokus zu rücken, würde ich mir wünschen“, ist sich Ruben Korenke bewusst. Der Einsatz von KI im Nachhaltigkeitsbereich hat nur dann Sinn, wenn etwa der Energieverbrauch der Trainings- und Nutzungsphase geringer ist, als die Energie- und Ressourceneinsparung, die letztlich durch das Verfahren erzielt werden. Dann plädiert er dafür, „KI mit Elan dafür zu nutzen, nachhaltigere Verhaltensweisen für Menschen einfach zu machen.“ Ein gutes Beispiel hierfür ist das Projekt „Stena Fuel Pilot“, bei dem mit Hilfe von KI die Schiffsroute zwischen Kiel und Göteborg optimiert wurde. Zwar wäre das Anlernen der KI teuer und energieintensiv gewesen; würde aber das Pilotprojekt hochskaliert und das KI-Tool langfristig auf die gesamte Flotte übertragen, würde jede Fähre bei jeder Überfahrt zwei bis drei Prozent Sprit einsparen. Das wiederum sorge auf lange Sicht für eine positive Ökobilanz.
Beta-Testphase bei Ecosia
Einen nachhaltig guten Effekt erhofft sich auch das Projekt GCA, das seit Februar 2021 in der Beta-Testphase läuft: Seither können Interessierte die Browser-Extension in der Suchmaschine Ecosia testen und an der Entwicklung mitwirken. Zusätzlich werden im Kartendienst von Ecosia Orte hervorgehoben, in denen nachhaltiger Konsum möglich ist, wie beispielsweise vegetarische Restaurants, offene Werkstätten, Verleihstationen und Second-Hand-Läden. „Gemeinsam mit Ecosia-Gründer Christian Kroll konnten wir hier ein wirklich besonderes Konsortium aus Machine-Learning-Expertise, Nachhaltigkeitswissen und der Erfahrung in der Entwicklung nachhaltiger Digitalprodukte an den Start bringen“, freut sich Korenke über die Zusammenarbeit mit der nachhaltigen Suchmaschine. Was bisher nur bei der Online-Suche nach Smartphones funktioniert, soll Stück für Stück auf weitere Produktkategorien ausgedehnt werden. „Toll wäre es natürlich, wenn am Ende alle Informationen zu sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit enthalten wären, also beispielsweise auch der Einfluss auf die Biodiversität oder die Einhaltung von Menschenrechten bei der Produktion”, so Ruben Korenkes Vision für das Projekt, das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) im Rahmen der Initiative „KI-Leuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen” gefördert wird.
Berlin: Ort der Vernetzung und Inspiration
Es ist nicht die einzige Vision: Bei einer erfolgreichen Umsetzung werden täglich Millionen Konsumentinnen und Konsumenten über die Suchmaschine Ecosia mit dem hier entwickelten GCA interagieren – und das in über 30 Ländern. Außerdem soll die Datenbank als open data und open source publiziert werden, damit auch andere Suchmaschinen und Content-Anbieter darauf zugreifen können. Dadurch hofft das interdisziplinäre Team aus Berlin, einen Grundstein für neue Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu legen. Darüber hinaus sollen neue digitale Geschäftsmodelle und Start-ups aus der GCA hervorgehen. Dass die Chancen dafür gut stehen, hat laut Korenke auch mit dem Standort Berlin zu tun: „Unsere eigene Entstehungsgeschichte ist eng an die Vernetzung von Entwicklung und Forschung in Berlin gekoppelt“, weiß der Projektleiter aus Erfahrung und ist überzeugt: „Solche Ideen entstehen aus meiner Sicht besonders dann, wenn es Räume zur Vernetzung der unterschiedlichen Partnerinnen und Partner gibt – in dieser Hinsicht ist Berlin in Deutschland sicherlich einzigartig.“