Gesundheit ist ein hohes Gut und doch ist der Zugang zu lebensrettenden Technologien und Verfahren in der Welt sehr ungleich verteilt. Doch was wäre, wenn allen Menschen die selben Mittel und Ressourcen zur Verfügung stehen würden, die für eine Krebsdiagnose und Behandlung nötig sind? Die Hippo AI Foundation geht einen radikalen Weg und möchte medizinische Erkenntnisse, die durch Künstliche Intelligenz gewonnen werden, mittels einer Open-Knowledge-Lizenz frei zugänglich machen. Wir haben mit den beiden Gründern Bart de Witte und Viktoria Prantauer über die Anfänge ihrer bahnbrechenden Idee, die Hürden einer De-Ökonomisierung von Daten und die Bedeutung von Kooperationen gesprochen.
Liebe Viktoria, lieber Bart – erst einmal Glückwunsch zum Gewinn des Startup-Preises des Deutschen KI-Preises! Habt ihr das erwartet und wie habt ihr den Gewinn gefeiert?
Viktoria: Also ich glaube, ich feiere immer noch und von meiner Seite kann ich sagen, also für mich gab es nur diese Option: Wenn wir diese Möglichkeit schon bekommen, da zu sein, dann müssen wir das auch gewinnen.
Bart: Ich war überrascht, weil wir dann doch ein Non-Profit waren, im Vergleich zu zwei klassischen For-Profits. Dementsprechend habe ich mich sehr gefreut, dass man auch offen ist für etwas nachhaltigere Ansätze. Es ist eine tolle Anerkennung, weil wir dann doch nicht so eine ganz einfache Vision haben. Wir schwimmen eben etwas gegen den Strom und sagen, wir entmonetarisieren Daten, während dagegen alle anderen sie monetarisieren wollen. Für uns war das auf jeden Fall ein Meilenstein, der uns weiterhilft und Vertrauen schafft.
Viktoria: Wir möchten ja mit der Hippo-Foundation die Gesellschaft und die Bedürfnisse der Gesellschaft ganz nach vorne stellen und dann bei diesem Live-Voting auch nochmal zu sehen, dass es genau das ist, was die Gesellschaft eigentlich haben möchte, ist wunderbar. Es war nochmal ein Schubser, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Springen wir nochmal ein paar Jahre zurück: Wie kam die Idee mit offenen globalen Datensätzen KI zu trainieren, um Krebs-Diagnosen zu verbessern?
Bart: Entstanden ist das aus meiner Erfahrung bei IBM im Bereich Machine Learning. Ich habe sehr stark drüber nachgedacht, was die langfristige Konsequenz ist, wenn wir das Geschäftsmodell der Datenmonetarisierung jetzt übertragen in die Medizin und mich wieder sehr stark auseinandergesetzt mit der Rolle Europas. Sind wir überhaupt in der Lage bei diesem Wettrennen mitzuhalten, weil wir keinen skalierbaren Markt haben? Wir haben nicht die Bedingungen, die China hat oder die die USA haben und wir haben es bis jetzt noch nie geschafft in diesem Bereich von Algorithmen und datenbasierten Plattformen eine führende Rolle zu übernehmen. Bei Google Search hat man immer 92 Prozent Marktanteil in Europa seit über 15 Jahren und ich habe dann die Frage gestellt: Was ist die Konsequenz, wenn eine Plattform genauso viel Marktanteil hat wie Google Search? Das ist ja auch ein Algorithmus-basiertes Geschäftsmodell. In was für einem Gesundheitssystem befinden wir uns dann, wenn alles lebensrettende Wissen monopolisiert ist?
Keine rosige Zukunft für das weltweite Gesundheitswesen...
Bart: Absolut. Da sind bei mir die Alarmglocken hochgegangen, weil dann vieles auch mit Geschäftsmodellen und Moral zu tun hat. In Amerika ist die Moral, wenn es um Gesundheit geht, eine völlig andere, als unsere in Europa und ich habe dann gemeint, die KI hat mir eigentlich sehr viel Hoffnung gegeben, dass man auf einmal Expertenwissen in alle Ecken Afrikas verteilen könnte. Ich sehe aber, dass gerade der umgekehrte Weg gegangen wird – hin zu krassen Informationsasymmetrien, bei denen das Kapital definiert, wer die größten Daten sammeln kann und dann IP generieren kann auf die Algorithmen.
Wie kann da gegengesteuert werden?
Bart: Ich glaube, dass, obwohl die Politik es immer gut meint, sie nicht in der Lage sind solche Probleme zu lösen. Das heißt, ich habe kein Vertrauen gehabt in die Politik, ich habe kein Vertrauen gehabt in unsere Marktsysteme, weil wir eben die Bedingungen nicht haben. Also ein reiner marktbasierter Verlauf, wo der Markt die Zukunft definiert, da glaube ich auch nicht dran. Ich habe mich dann inspirieren lassen von Open-Source-Bewegungen in der Software. Ich habe sehr viele Interviews geführt und dann versucht etwas zu kreieren, was heute die Hippo-AI ist: Eine Vision, ein Narrativ, worauf Leute sich finden können und gemeinsam auf dieser Basis anfangen zusammenzuarbeiten, weil Open Source nichts anderes ist, als eine Zusammenarbeit auf der Basis gemeinsamer Werte und ein Framework abgibt.
Wie funktioniert euer Lizenzmodell genau?
Bart: Die Idee ist, dass wir große Referenzdatensätze, die man für die KI-Modellierung braucht, sammeln und die dann mit einem Stempel, also einer äußerlichen Lizenzmeldung, versehen. Alle Lizenznehmer dieser Daten sind dann verpflichtet diese immer zu teilen und alle Derivate unter die gleiche Lizenz zu setzen. So kreieren wir quasi ein neues Ökosystem, das auf radikaler Offenheit basiert.
Eine solche Aufgabe erfordert ja auch eine Menge Expertise. Viktoria, du bringst neben dem digitalen Know-how auch eine persönliche Geschichte mit zu HippoAI.
Viktoria: Ich komme aus der digitalen Welt, habe Unternehmen, Startups und Communities aufgebaut. Lange war KI für mich einfach so, ja das ist ein Tool, das macht uns effizienter, hilft Unternehmen noch schneller und größer zu werden und das war so meine naive Perspektive darauf. Das hat sich dann einmal komplett gedreht, als ich im Sommer 2019 mit Brustkrebs diagnostiziert worden bin. Das musst du dir mal so vorstellen, wie eine Schockwelle, die über dich drüber läuft.
Ich fragte mich also, für was ich mein Wissen und meine Energie in Zukunft einsetzen möchte? Man entwickelt gleichzeitig ein ganz großes Mitgefühl für all die anderen da draußen mit demselben Schmerz. Ich habe dann das Bedürfnis bekommen, dass ich jetzt diese Erfahrung einfach nutzen muss. Diese Diagnose und diese Behandlung, die ich bekommen konnte, weil ich in einem Land wie Deutschland lebe und einfach diesen Zugang habe zu all diesen Optionen – das möchte ich auch allen anderen Menschen möglich machen.
Wie habt ihr zwei zueinander gefunden?
Viktoria: Mit dieser Mission bin ich auf die Suche gegangen und genau drei Tage nach meiner Diagnose habe ich Bart gefunden und war sehr beeindruckt von seinem Ansatz, dass wir Technologien für den Menschen nutzen und das System der globalen Ungerechtigkeiten brechen. Ein paar Monate nach meiner Chemotherapie haben wir uns dann getroffen und haben gemeinsam das Konzept der Patient*innen-getriebenen Projekte entwickelt.
Ist die Bereitschaft generell da, Daten verfügbar zu machen, sodass diese wirklich dem Gemeinwohl zugutekommt?
Viktoria: Die Kommunikation in Richtung der Patient*innen ist extrem wichtig, weil es darum geht, dass wir als Mensch und als Gesellschaft in der Lage sind eine andere Welt zu designen. Ich glaube, und das wird auch durch entsprechende Forschung untermauert, dass Menschen gerne bereit sind ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wenn der Output entsprechend ist. Das heißt, wenn man sie eben im Krankenhaus fragt, seid ihr bereit eure Daten für Forschung zur Verfügung zu stellen, dann würden die meisten das von uns auch mit Ja ankreuzen. Das Problem ist, dass dann aber nicht die Frage gestellt wird: Welche Art von Forschung ist das denn eigentlich? Wer profitiert von dem Output dieser Forschung? Würde der Patient das am Anfang wissen, würde er dann immer noch zustimmen? Diese Diskussion fehlt.
Bart: Ich glaube, das ist etwas, was immer so verheimlicht wird. Man sagt dann immer: „Bitte stellen Sie ihre Daten für die Forschung zur Verfügung“ – aber man sagt dann nicht, dass die Forschung zu öffentlichem Wissen führt. „Bitte spenden Sie ihre Daten für das Allgemeinwohl“ finde ich eine bessere Frage, weil da muss man auch gucken, dass das Know-how der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.
Wenn in einem öffentlich rechtlichem Krankenhaus ein Patient unterschreibt, dass er bei einem Forschungsprojekt mitmacht und die Daten dann exklusiv an ein Pharmaunternehmen verkauft werden und daraus IP generiert wird, dann meint der Patient etwas Gutes zu tun, aber wenn dann die Krebstherapie am Ende 400.000 Euro kostet, dann hat das nichts mit Allgemeinwohl zu tun.
Für euer Vorhaben stehen Kollaborationen und Partnerschaften im Vordergrund. Wie kommt eure Idee an und wer sind eure Fürsprecher?
Bart: Ich habe gemerkt, dass die Hauptbefürworter für unsere HippoAI-Foundation die Ärzt*innen und die Patient*innen sind. Ich habe das Glück, dass ich als Keynote-Speaker auf Ärztekonferenzen sprechen durfte, woraufhin dann Professor*innen und forschende Ärzt*innen auf mich zugekommen sind. Unsere Botschaft passt eben genau in das Wertesystem eines Arztes oder einer Ärztin: Sie brauchen offenen Zugang zu Wissen, weil sie diese Philosophie eigentlich immer gepflegt haben. Ohne den offenen Zugang zu Daten und Algorithmen, was dann quasi das zukünftige Wissen abbildet, sind die Ärzt*innen entmächtigt. Das ist natürlich auch ein Mittel für die Ärzt*innen, um auch weiterhin die Herrschaft über das Know-how zu haben, aber auch für unsere Gesellschaft.
Eure Mission ist die De-Ökonomisierung von Daten und KI im Gesundheitswesen. Inwiefern stehen hier wirtschaftliche Interessen euren Zielen im Weg und was haltet ihr Gegner*innen entgegen?
Bart: Was wir tun, ist eigentlich etwas, was viele nicht sehen möchten, weil die darauf wetten, dass man die Reise zur Monetarisierung nutzt oder gewinnt. Es gibt aber ein Ding, was man nicht ändern kann: Das ist das Grundrecht auf Selbstbestimmung und das heißt, dass wir als Mensch entscheiden können, an wen wir unsere Daten spenden oder abgeben. Ich glaube, wenn wir eine Open-Source-Strategie fahren, dann wird die Wirtschaft noch viel mehr florieren, nur werden wir das unter viel mehr Unternehmungen machen können, anstatt nur einzelne Plattformen, die alles zentralisieren.
Bietet Berlin da eine gute Basis für ein solch großes Vorhaben?
Viktoria: Ich persönlich bin nach Berlin gekommen, weil es ein Tor in die Welt ist, wo ein wunderbarer Mix an Menschen zusammenkommt. Diese gegenseitige Befruchtung aus all diesen verschiedenen Perspektiven. Das ist das, was es so spannend macht und den Reiz hat, weil du eben nicht eingeschränkt bist in deiner eigenen Bubble und da nicht rauskommst und unglücklich bist, sondern Berlin bietet dir all diese Perspektiven und ermöglicht dir völlig neue Blickwinkel.
Bart: Ich finde es aber immer schwierig, weil wir eine globale Mission haben, dann immer diesen Nationalismus oder dieses „Wir sind jetzt hier verortet“.
Unser Ziel ist es, ein globales Netzwerk aufzubauen, das sehr stark dezentral und selbstorganisiert wirkt. Aber klar, das Mindset von Diversität, von sozialem Engagement ist hier in Berlin schon stark und daher passt das hier sehr gut.
Open-Data-Projekte stehen und fallen ja mit einer Kooperation. Nun habt ihr mit AstraZeneca ein großes Unternehmen für eure Idee gewinnen können. Wie kam das?
Bart: Wir haben uns riesig gefreut, als wir das Unternehmen als Sponsor für das Brustkrebs-Projekt gewinnen konnten und die Bereitschaft entstanden ist, in etwas zu investieren, was dann auch der Konkurrenz von AstraZeneca zur Verfügung steht. Das ist ja das, was Open Source ist. Das steht dann zwar allen zur Verfügung, aber die haben verstanden, dass in so einem exponentiellen Zeitalter wie jetzt, der Bedarf an Transparenz und Vertrauen extrem wichtig wird. Man merkt, dass viele Pharmaunternehmungen jetzt bei einem Teil der Bevölkerung überhaupt kein Vertrauen mehr haben und das sieht man bei diesen ganzen Impfdiskussionen. Das heißt, dass die das verstanden haben und mit uns erstmal dieses Projekt erproben, ob da diese Investments von AstraZeneca in offene Innovationen zu investieren, zu schnelleren Innovationen und zu mehr Daten führen – für weniger Geld und zu besseren Outcomes. Ich hoffe, dass da sehr viele andere folgen werden.
Danke für das Gespräch!