Professor Roland Eils ist ein ausgewiesener Experte für biomedizinische Informatik, Genomik und personalisierte Medizin. Er leitete die Abteilung „Theoretische Bioinformatik“ am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und den Bereich „Bioinformatik und Funktionelle Genomik“ an der Universität Heidelberg, bevor er die Leitung des Bereichs „Digitale Gesundheit“ am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) im April 2018 übernahm. Der Forscher hat sich dafür ehrgeizige Ziele gesteckt: Eils möchte den Berliner Forschungsraum zu einem gemeinsamen Datenraum ausbauen und die Infrastruktur der digitalen Gesundheit so skalieren, dass die riesige Datenflut aus Forschungsdaten und Daten der Krankenversorgung effizient genutzt werden kann.
Herr Prof. Eils, die Digitale Medizin gilt als Medizin der Zukunft und soll unter anderem Ärzten und Patienten zuverlässigere und genauere Diagnosen ermöglichen. Mit welchen Techniken gehen Sie die Thematik an?
Der Bereich der Digitalen Medizin, den wir hier in Berlin insbesondere besetzen wollen, ist, zwei Datenwelten, die nebeneinander stehen, miteinander zu verknüpfen: zum einen die Datenwelt aus der Klinik, wo Daten hauptsächlich während der Versorgung von Patienten erhoben werden, und auf der anderen Seite Daten aus der biomedizinischen Grundlagenforschung. Hier haben wir eine Unterbrechung, und wir versuchen, eine Brücke zu bauen, um diese beiden Datenlandschaften miteinander zu verbinden. Dabei versuchen wir zum einen, Methoden und Technologien zu entwickeln, um diese Datenströme sowohl für den behandelnden Arzt als auch für den Forscher möglichst transparent und einfach zu gestalten. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit Fragen rund um ethische und regulatorische Randbedingungen und wollen so dazu beitragen, mögliche Vorbehalte für die Etablierung solcher Datenströme zu adressieren. Der Mehrwert, den wir damit erzielen möchten, ginge in beide Richtungen: Dass wir auf der einen Seite natürlich einen Beitrag leisten, aus der Forschung heraus die Versorgung der Patienten zu verbessern. Und auf der anderen Seite können wir auf der Grundlagenforschungsseite davon profitieren, wenn wir sehen, wie unsere Erkenntnisse in der Versorgung umgesetzt werden, und zu welchem Ergebnis sie am Patienten führen, sodass wir ein besseres Verständnis erhalten, inwieweit unsere Krankheitsmodelle, welche wir in der Grundlagenforschung benutzen, überhaupt passfähig sind für eine Anwendung am Patienten.
Sie sind vor Kurzem dem Ruf aus Berlin gefolgt. Wie beurteilen Sie den Standort als Zentrum für technologische Innovation, besonders im Bezug auf das Gebiet der Künstlichen Intelligenz? Was unterscheidet Berlin von anderen Standorten?
Berlin eignet sich aus vielerlei Gründen als Modellregion für Digitale Gesundheit. In Berlin ist die stationäre Versorgung zu mehr als 40 Prozent in öffentlicher Hand. Die Charité ist nicht nur eine Universitätsklinik mit internationalem Rang, sondern vielmehr wurde hier bereits mit der Charité-eigenen Health-Data-Plattform eine wichtige Grundlage für die Digitalisierung und Zusammenführung aller versorgungsrelevanten Daten gelegt. Gleichzeitig ist das Land Berlin Eigentümer von Vivantes, des größten kommunalen Klinikverbundes in Deutschland. Berlin verfügt darüber hinaus mit dem Big Data Zentrum und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sowie einer hochdynamischen Startup-Szene über eine Ballung von IT-Kompetenz im Gesundheitsbereich. Nahezu jedes dritte deutsche KI Unternehmen hat seinen Sitz in der Hauptstadt.
Welchen Stellenwert hat das BIH und ihr Forschungsbereich für die KI-Branche in Berlin und darüber hinaus?
Das BIH ist derzeit sicher einer der wichtigsten Player auf dem Gebiet der Digitalen Gesundheit. Meine Professur für Digitale Gesundheit ist eine der ersten ihrer Art in Deutschland. Robert Gütig hat eine BIH-Professur für Künstliche Intelligenz, Silvia Thun eine Professur für Dateninteroperabilität. Mit dem Digital Accelerator verfügt das BIH darüber hinaus über eine hochprofessionelle Infrastruktur, um junge Unternehmensgründer im Bereich Digitale Medizin beim Aufbau ihres eigenen Startups zu unterstützen. Von daher hat das Berlin Institute of Health die Zeichen der Zeit nicht nur erkannt, sondern auch konsequent umgesetzt.
Wie ist es um die Infrastruktur und Kooperation zum Thema Digitale Gesundheit in Deutschland bestellt?
Sehr viele Prozesse in der Krankenversorgung werden entweder noch in Papierform abgewickelt oder aber existieren in Datensilos innerhalb der Institutionen, die nicht miteinander kommunizieren. Technisch gesehen, könnte man alles wunderbar miteinander verknüpfen, da gibt es keine wirklichen Herausforderungen im Sinne von „das ist technisch nicht umsetzbar und lösbar“. Die Barrieren sind historisch gewachsen, das heißt, es gibt IT-Lösungen in verschiedenen klinischen Abteilungen innerhalb einer Institution, es gibt unterschiedliche IT-Systeme über Krankenhausgrenzen hinweg, da gibt es viele Aspekte, die man erst adressieren muss, um sicher zu stellen, dass diese Datenwelten zwischen verschiedenen Datensilos und verschiedenen Institutionen überhaupt miteinander reden können. Der Datenaustausch ist zunächst mal eine rein technische Fingerübung, aber zum Beispiel die Beschreibung einer bestimmten Krankheit muss in einem Kreiskrankenhaus im Norden von Deutschland genauso geschehen wie in einem Universitätsklinikum in anderen Teilen von Deutschland, um die Daten zwischen Patienten und Institutionen vergleichbar und austauschbar zu machen. Und da gibt es in der Tat gewaltige Herausforderungen im Bereich der so genannten Interoperabilität von Daten, die gerade im Gesundheitssystem besonders herausfordernd sind.
Losgelöst von ihrem Forschungsfeld, welche Herausforderungen, Probleme und Potentiale sehen Sie für die Zukunft von Deep Learning, Machine Learning und Künstlicher Intelligenz generell?
Zu Potentialen für die Zukunft kann man eigentlich nur antworten: Alles ist möglich! Zu den Herausforderungen gehört sicher die derzeit heiß diskutierte Frage, inwieweit die Maschinen, denen wir mit Programmen die sogenannte Künstlichen Intelligenz beibringen, selbst autarke Entscheidungen übernehmen können, die von uns Menschen nicht mehr kontrollierbar oder nachvollziehbar sind. Die künstliche Intelligenz ist ja eine maschinenbasierte Intelligenz, die sich aber durchaus selbst weiterentwickeln kann. Und ich glaube, das sind wirklich gesellschaftliche Herausforderungen, denen wir uns heute stellen müssen: Was wollen wir diesen Maschinen mit ihrer künstlichen Intelligenz an Kompetenz zugestehen? Wie wollen wir sicherstellen, dass wir auch in Zukunft mit fortschreitender Technologie und IT-Entwicklungen nach wie vor Herr dieser Systeme sind? Und wie können wir Kontrollmechanismen einsetzen, um zu regulieren, was diese Maschinen können dürfen und was sie nicht dürfen? Die Potenziale sind wirklich enorm groß. Ich gehe davon aus, dass Maschinen im Prinzip mit fortschreitender Entwicklung viele Aufgaben, die wir Menschen übernehmen, mindestens genauso gut erledigen. Aber die Frage ist: Was passiert dann? Was passiert mit uns als Menschen? Das ist keine philosophische Fragestellung, sondern das wird in zehn oder zwanzig Jahren eine sehr real existierende Fragestellung sein. Und ich habe den Eindruck, dass wir uns viel zu wenig mit diesen Fragen heutzutage beschäftigen. Das haben wir so ein bisschen weggeschoben zu den Begleitforschern, zu den Ethikern und Philosophen. Aber ich glaube, das sollten wir auch aus der Forschung heraus angehen.
Welche Empfehlung haben Sie für Menschen und Institutionen, die sich mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz beschäftigen wollen, um Innovationen in ihrem Bereich voranzutreiben?
Wir finden es natürlich fantastisch, wenn sich Menschen für Einsatzmöglichkeiten der KI im Gesundheitsbereich interessieren. Wir freuen uns über jedes Startup, das mit innovativen Ideen kommt. Und wir sehen vor allem den Digital Health Accelerator des BIH als eine wunderbare Plattform, um diese Interessensgruppen, diese Community zusammenzubringen, zu fördern und dabei zu unterstützen, diese Entwicklungen tatsächlich bis zur Marktreife voranzutreiben.