Ein weiches Silikonteil, das mittels einer Luftpumpe ähnlich einem Ballon aufgeblasen wird die Roboterhand der Zukunft - wirkt auf den ersten Blick nicht gerade spektakulär. Nur die Tatsache, dass im Hintergrund ein Computerprogramm die Luftzufuhr steuert, könnte vielleicht als außergewöhnlich beschrieben werden. Doch die Entwicklung, die an der TU Berlin in Zusammenarbeit mit der Universität Pisa stattgefunden hat, zählt zu den jüngsten Revolutionen in der 50-jährigen Geschichte der Robotik. Wurden Roboterhände bisher teuer aus Metall hergestellt und konnten dank komplexer Algorithmen nach harten Gegenständen greifen, ist die Idee von „Soft Manipulation“, abgekürzt „SOMA“ radikal neu: Robot(er)-Systeme sollen auf eine Weise mit ihrer Umwelt interagieren, die an den menschlichen Umgang mit Alltagsgegenständen angelehnt ist. Die so unspektakulär aussehende Roboterhand aus Silikon etwa ist so weich, dass sie Objekte aufgreifen kann, ohne Schäden wie Druckstellen oder Kratzer zu hinterlassen. Genau das macht sie viel flexibler einsetzbar als bisherige Metallhände, die noch dazu in der Herstellung tausende Euro und damit deutlich mehr kosten als die 300 - 400 Euro teuren Silikonalternativen. Das Potenzial haben auch das Italian Institute of Technology (IIT) in Genua, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in München, das Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) sowie die beiden industriellen Partner Ocado, ein britischer Online-Supermarkt, und Disney Research in Zürich erkannt, die neben der TU Berlin am Projekt beteiligt sind und die weiche Roboterhand in der Praxis testen.
Prof. Dr. Oliver Brock, TU Berlin © SCIoI
Am Anfang war die Hand...
Die Roboterhand, die 2014 in Cannes vorgestellt und deren Weiterentwicklung von der Europäischen Union mit einem Volumen von rund 80 Milliarden Euro über sieben Jahre gefördert wird, ist nur ein Schritt auf einem langen Weg. Oder vielmehr Mittel zum Zweck.
„Ich glaube, dass wir irgendwann in der Lage sind, Roboter und Maschinen zu bauen, die intelligentes Verhalten an den Tag legen“, erklärt Prof. Dr. Oliver Brock, der an der TU für das Projekt „SOMA“ verantwortlich ist, „wir programmieren Roboter, wir schrauben Hände und Sensoren an Roboter, stellen sie in die Umwelt und schauen, wie sie sich dort verhalten. Unser Ziel ist klar: Wir wollen das Verhalten der Roboter verbessern bis zu dem Punkt, an dem wir sagen können, dass sich der Roboter intelligent verhält.“ Die Vision des im Jahr 2009 zum „Humboldt-Professor“ ernannten Informatikers scheint radikal: Roboter, die fast so intelligent sind wie Menschen und doch ungleich präziser agieren. Während bisherige Maschinen eher eindimensional konstruiert sind und nur eine konkrete, immer gleiche Aufgabe im stets gleichen Umfeld übernehmen, soll die neue Generation lernender Maschinen komplizierte Reaktionen und Bewegungsabläufe beherrschen. So würden die autonomen Helfer von morgen sich beispielsweise für den Einsatz in der Medizin, der Raumfahrt oder bei radioaktiven Unfällen eignen. Dafür stattet der Sprecher des Exzellenzclusters Science of Intelligence und Leiter des Fachgebiets Robotics and Biology Laboratory an der TU Berlin die Roboter mit Kameras und filigranen Greifarmen aus und entwickelt Computerprogramme für sie. Selbstlernende Algorithmen geben den Maschinen dabei quasi ein Gehirn: Sie lernen, eigenständige Entscheidungen zu treffen.
Intelligenz versus Künstlicher Intelligenz
„Das ist eine lange und aufwändige Aufgabe“, gibt sich Prof. Dr. Brock, der vor der Rückkehr in seine Heimat 2009 15 Jahre lang in den USA forschte, keinen Illusionen hin. Die Gründe dafür liegen nicht nur in der Robotic selbst. Um das, was Intelligenz beim Menschen ausmacht, auf den Roboter übertragen zu können, ist ein Verstehen eben dieser notwendig. „In der wissenschaftlichen Forschung wird Intelligenz im Gehirn verortet“, meint der 49-Jährige, „wir erkennen Intelligenz, wenn wir sie sehen und können sie mittels Tests messen. Doch selbst Psychologen, die sich von Berufs wegen mit diesem Gebiet beschäftigen, bleiben uns die eine Definition von Intelligenz schuldig.“ Für ihn sei es erstaunlich, dass die Wissenschaft sich zwar viel mit dem Wissen selbst beschäftige, aber kaum Aussagen dazu treffe, wie man dieses Wissen gewinne.
Genau hier setzt die Forschungsstrategie des Exzellenzclusters Science of Intelligence an. Welche fundamentalen Gesetze und Prinzipien liegen unterschiedlichen Formen von Intelligenz zugrunde – sei es künstliche, individuelle oder kollektive Intelligenz? Ihre Forschungsergebnisse wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen – von der Psychologie, über Robotik, Informatik bis hin zur Philosophie und Verhaltensforschung – nutzen, um neue intelligente Technologien zu schaffen. Die methodische Strategie des gemeinsamen Clusters der TU Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin innerhalb der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern ist dabei ein neuartiger Ansatz in der Intelligenzforschung, bei dem sämtliche Erkenntnisse, Methoden, Konzepte und Theorien in technologische Artefakte einfließen müssen, beispielsweise Roboter oder Computerprogramme. Diese Artefakte dienen als gemeinsame „Sprache”, die einen wissenschaftlichen Austausch über disziplinäre Grenzen hinweg ermöglichen soll.
Beim Beobachten der Fähigkeiten des Menschen Wahrnehmung, Bewegung und Denken hat sich eines für den Informatiker, der in Berlin und Stanford studiert hat, bereits herauskristallisiert:
„Wir Menschen lösen nicht die Gesamtheit eines Problems, sondern nur kleine Teilprobleme“, erklärt er, „und auch das geschieht mit geschickten Tricks, die wir uns im Laufe der Evolution beigebracht haben. Diese Tricks müssen wir verstehen, um sie den Robotern beizubringen.“
Vom Sehen und Greifen
Das Greifen der menschlichen Hand ist einer dieser Tricks. Wir fassen Dinge an und interagieren damit unmittelbar mit unserer Umwelt, um möglichst schnell und problemlos an gewünschte Objekte zu gelangen. Das Umblättern einer Buchseite, das Öffnen des Drehverschlusses einer Flasche, ein Zeigefinger, der zum improvisierten Schuhlöffel wird. All das sind Bewegungen, die wir tagtäglich mit einer enormen Effizienz und Geschicklichkeit ausführen, meist ohne darüber nachzudenken. Die „SOMA“-Hand habe sich am menschlichen Original ein Beispiel genommen. Statt die Roboterhand kompliziert mit Sensoren auszustatten, beschränkte man sich auf die Luftpumpe die Hardware selbst wurde ausgelagert. „Im Hintergrund arbeiten Computerprogramme, die dafür sorgen, dass die Umwelt nicht länger als Hindernis empfunden wird“, so Prof. Dr. Brock, „sondern als Mittel, schneller und leichter zum Ziel zu kommen. Ganz so wie Menschen das auch tun.“
Das Auge ist für den Robotervater ebenso faszinierend: „Jedes Auge hat 130 Millionen Photorezeptoren, die Licht wahrnehmen“, schwärmt er, „doch davon werden nur etwa 500.000 Informationen ans Gehirn weitergeleitet. Trotz dieser Reduktion glauben wir, unsere Umwelt perfekt wahrzunehmen. Wie passiert das, ohne dass relevante Information verloren geht? Hier ist ein Trick am Werk.“ Zusammen mit seinem Team an der Technischen Universität Berlin stattet er Roboter mit Kameras aus und versucht so, eben diesen Trick nachzuempfinden. Mit Erfolg: Die Roboter sind tatsächlich in der Lage, sich die Informationen herauszuholen, die für die Erfüllung einer Aufgabe relevant sind. „Natürlich sind weder die Aufgaben noch die Augen so komplex, wie die von uns Menschen“, gibt sich Prof. Dr. Brock bescheiden, „aber der Informations-Reduktionsfaktor bei den Maschinen ist etwa mit dem der Menschen gleich zu setzen.“ Das Experiment ergab etwas Entscheidendes: Die Reduktion der Information vereinfacht auch die Erfüllung nachfolgender Aufgaben. Diese Beobachtung war sowohl beim künstlichen Auge wie bei der Roboterhand gleichermaßen festzustellen.
„Vielleicht ist Intelligenz eine Zusammenfassung, eine Interaktion dieser Tricks, die sich gegenseitig helfen, Probleme zu lösen. Science of Intelligence will diese und andere Fragen lösen sowie neue Zusammenhänge herstellen, um das Verständnis von Intelligenz ganz grundlegend voranzutreiben“, schlussfolgert der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler. Es ist eine Zukunftsvision von der neuen Generation intelligenter Roboter und Künstlicher Intelligenz, in der Prof. Dr. Oliver Brock großes Potenzial sieht. „Vier Augen sehen mehr als zwei“, ist der Experte für Maschinelles Lernen optimistisch, „vielleicht denken zwei Intelligenzen, die menschliche und maschinelle, besser als eine. Vielleicht können wir mithilfe maschineller Intelligenz die vielen Entscheidungen, die wir im Lauf der Geschichte falsch entschieden haben, künftig besser treffen. Ich gehe beruhigt in eine Zukunft, in der intelligente Maschinen an unserer Seite existieren.“