Künstliche Intelligenz ist dem Großteil der Deutschen noch immer ein Rätsel. Rund drei Viertel der Internetnutzenden in Deutschland meinen, kein tiefergehendes Verständnis des Begriffs KI zu haben. Das zeigte eine repräsentative Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt), die Ende 2019 durchgeführt wurde. Mehr als jeder Fünfte weiß nicht, was sich hinter Künstlicher Intelligenz verbirgt oder hat den Begriff noch nie gehört. Und das, obwohl KI aus unserem Alltag schon heute nicht wegzudenken ist. So kommt Maschinelles Lernen bei der Suche im Internet genauso zum Einsatz, wie bei der Sprachassistenz von Smartphones; auch in der medizinischen Diagnostik und dem Maschinenbau übernehmen Algorithmen zahlreiche Aufgaben. Doch das soll erst der Anfang sein. In den nächsten Jahrzehnten werden KI-Systeme in nahezu allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern eine Rolle spielen.
Vision: KI-kompetente Gesellschaft
Mit dem steigenden Einsatz von KI nimmt auch der Bedarf an Fachkräften zu. Rund 450.000 Personen mit IT-spezifischen Kompetenzen werden laut einer Studie des Stifterverbands über „Future Skills” bis 2023 allein in der Wirtschaft benötigt. Nicht jeder müsse aber Informatiker werden, betont Florian Rampelt, Leiter der Geschäftsstelle des KI-Campus beim Stifterverband. Notwendig sei „eine Grundlagenkompetenz in der Breite.” Jede und jeder müsse verstehen, wie datenbasierte Entscheidungsprozesse hinter KI-Systemen funktionieren, um eben diese mündig interpretieren und einsetzen zu können. Das gelte für den Mediziner, der seit 20 Jahren in der Praxis arbeitet und plötzlich mit Diagnosen aus Handy-Apps konfrontiert ist, genauso, wie für die Ingenieurin, die sich mit autonomem Fahren beschäftigt. Auch der Lehramts-Studierende müsse sich schon heute mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen, um KI-Grundlagen später im Klassenzimmer vermitteln zu können. „Unsere Vision ist eine KI-kompetente Gesellschaft”, bringt es Florian Rampelt auf den Punkt. „Das Ziel muss sein, dass möglichst viele Menschen Künstliche Intelligenz und die damit in Verbindung stehenden Technologien in ihren Grundsätzen verstehen. Wenn man darauf aufbauend noch mehr Menschen für den Einstieg in spannende KI-Berufsfelder begeistern kann, haben wir unsere wichtigsten Ziele erreicht.” Mit innovativen Lernangeboten aus unterschiedlichen Bereichen der KI möchte der KI-Campus einen Beitrag zur Vermittlung von KI-Kompetenzen an Studierende, Berufstätige und lebenslang Lernende leisten.
Florian Rampelt, Leiter der Geschäftsstelle des KI-Campus © Stifterverband
Beta-Launch mit Multiplikatoreffekt
Der Online-Kurs „Schule macht KI“, der das Thema Künstliche Intelligenz für Lehramtsstudierende und Lehrkräfte „klassenzimmertauglich“ aufbereitet, und das interaktive Podcast-Lernangebot „Dr. med. KI“, in dem Kerstin Ritter, Juniorprofessorin für Computational Neuroscience an der Charité Berlin, auf unterhaltsame Art und Weise zeigt, wie KI in der Medizin zum Einsatz kommt – das sind nur zwei der ersten digitalen Angebote, mit denen die Beta-Version der prototypischen Lernplattform KI-Campus im Juli 2020 online gegangen ist. Ein Dreivierteljahr nach dem Start des Projekts, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2022 gefördert wird, und neun Monate früher als geplant. „Wir haben uns bewusst für den frühen Beta-Launch entschieden, um in der Corona-Zeit mit kostenlosen, digitalen Lernangeboten einen Beitrag zur Stärkung von selbstorganisiertem Lernen im Allgemeinen sowie KI-Kompetenzen im Speziellen zu leisten“, so Rampelt. Über die positive Resonanz freuen sich die Projektpartner, zu denen neben dem Stifterverband das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Hasso-Plattner-Institut (HPI), NEOCOSMO und das mmb Institut zählen: Einige hundert Lernende sind seit dem Softlaunch bereits auf der Plattform aktiv. „Unser Ziel ist es, in der nächsten Zeit eine vierstellige Anzahl Lernender zu erreichen“, erklärt Florian Rampelt und setzt dabei vor allem auf den Multiplikatoreffekt. Wenn Kerstin Ritter von der Charité den Podcast in die eigene Lehrvorlesung integriert, und das Startup Junge Tüftler eine eigene Community an Lehrkräften und Lehramtsstudierenden mitbringt, erhöht das beispielsweise unmittelbar die Zugriffe auf die Plattform.
Primat Offenheit: Kopieren Sie schamlos!
Ebenso willkommen ist, wenn der erste englischsprachige Kurs, den das Berliner Social Startup Kiron für den KI-Campus entwickelt hat, auf eine Lernplattform der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) kopiert wird. „Kopieren Sie schamlos, das ist das Erste, was ich unseren Partnern sage“, meint der Geschäftsstellenleiter. „Wir wollen KI-Kompetenzen stärken, wissen aber, dass wir das nicht allein erreichen können. Das gelingt nur, wenn wir zusammenarbeiten.“ Es gehe nicht darum, „das Rad neu zu erfinden“ und andere Plattformen zu ersetzen, sondern mehr Sichtbarkeit und Vernetzung für KI zu erzielen. Deshalb sind auf der Website neben den sogenannten KI-Campus-Originalen – also Kurse, Videos, Podcasts und Co., die eigens für die Plattform entwickelt werden – auch deutsch- und englischsprachige Lernangebote anderer Plattformen zu finden. Kurse der Universität TU Eindhoven oder der Harvard University stehen genauso zu Verfügung wie Inhalte der Partner DFKI und Hasso-Plattner-Institut oder des Hamburger Startups AppCamps.
Dreh- und Angelpunkt Berlin-Kreuzberg
„Unsere Kooperationspartner kommen aus unterschiedlichen Regionen, unser Konsortium ist deutschlandweit verteilt – und das ist wichtig“, erklärt Florian Rampelt, „der Dreh- und Angelpunkt des KI-Campus ist aber unser Digital-Hub in Berlin-Kreuzberg.“ Die Standortwahl war eine bewusste Entscheidung. Einerseits befinden sich der Digitalbereich und die Programmarbeit des Stifterverbands mit über 80 Mitarbeitenden seit Langem in Berlin. Auch das DFKI hat in der Bundeshauptstadt einen Stützpunkt. „Berlin sei ein zentraler Standort für innovative KI-Entwicklungen und exzellente Wissenschaft. „Ich weiß den Berliner Innovationsgeist sehr zu schätzen“, betont der Absolvent der Universität Passau, der seit knapp fünf Jahren in Berlin tätig ist. „Viele Startups, Hochschulen und andere Initiativen leisten hier gerade auch tolle Bildungsarbeit. Es gibt einfach viele inspirierende Akteure. Davon profitieren wir enorm.“
Qualität für alle
Welche Akteure als Kooperationspartner beziehungsweise welche Lernangebote für den KI-Campus in Frage kommen, wird nach bestimmten Qualitätskriterien ausgewählt. Dazu zählt ein akademisches Niveau. Allerdings soll die Plattform nicht nur für Studierende attraktiv sein, sondern für die breite Öffentlichkeit. „Das Wichtigste ist deshalb, dass das Lernangebot offen und kostenlos verfügbar ist und maximal einer kurzen Anmeldung bedarf“, plädiert Rampelt für ein niedrigschwelliges Bildungsprogramm. „KI-Kompetenzen dürfen kein Privileg sein”, betont er. „Bezahlschranken oder andere formale Hürden sind nicht inklusiv. Das ist aber wichtig. Wir möchten nicht eine Elite bedienen, die sich das ohnehin schon leisten kann.“ Noch einen Schritt weiter geht das „Primat der Offenheit“ beim KI-Campus selbst. Alle KI-Campus-Originale unterliegen einer offenen Lizenzierung, die eine kostenlose Nachnutzung der Lernangebote und auch eine Integration in die eigene Lehre ermöglichen. Die genutzten Technologien folgen ebenfalls dem Prinzip der Offenheit: So wird auch die MOOC-Plattform des Hasso-Plattner-Instituts openHPI, auf der die Lernumgebung des KI-Campus basiert, zu einem Open-Source-Projekt.
„Jeder und jede kann kopieren, nutzen, die Angebote in das eigene Curriculum oder in die eigene Plattform integrieren“, beschreibt Rampelt sein Herzensthema.
Von Micro-Degree bis Chatbot
Drei Jahre hat das Projektteam vom KI-Campus Zeit, um zu beweisen, dass das Konzept aufgeht und Nachfrage nach diesen Angeboten besteht. Es werden drei sehr bewegte Jahre mit starkem Entwicklungscharakter sein: „Im Zentrum steht die Erprobung von Lernangeboten zu zahlreichen Fragestellungen rund um Künstliche Intelligenz“, erklärt er in einem Podcast-Interview. Welche Geschäfts- und Betreibermodelle eignen sich für eine KI-Lernplattform? Wie kann perspektivisch eigenes Einkommen generiert werden? Mit solchen und vielen weiteren Fragestellungen beschäftigt sich der KI-Campus fortlaufend. Und nicht zuletzt muss auch die Plattform selbst ausgebaut und weiterentwickelt werden. Über 20 neue KI-Campus-Originale zu unterschiedlichen Themenfeldern sind derzeit etwa im Entstehen. Die Ideen und Formate dafür liefern Wissenschaftler von Hochschulen in Deutschland und Luxemburg sowie die Experten des DFKI. „Es handelt sich dabei nicht nur um Kurse, sondern um vielfältige Arten von Lernangeboten wie weitere Podcast-Reihen, Lernvideos und Micro-Degrees“, meint der Wahl-Berliner. Außerdem sollen mit etwas Glück bereits im Wintersemester 2020/21 erste Kurse mit ECTS-Punkten ausgewiesen werden, die in Abstimmung mit der jeweiligen Hochschule anerkannt bzw. angerechnet werden können. Nicht, um bestehende Analog-Lehrveranstaltungen zu ersetzen. Vielmehr kann sich Rampelt vorstellen, dass ein digitales Lernangebot eine Vorlesung ergänzt oder als Teil eines Seminars anerkannt wird. Doch nicht nur inhaltlich wird der KI-Campus weiterentwickelt. Auch auf technologischer Ebene sollen KI-Systeme auf der Plattform eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. „Das DFKI arbeitet an der Entwicklung von Chatbots für den KI-Campus, auch Empfehlungssysteme sind geplant“, weiß der Geschäftsstellenleiter. In der ersten Stufe sollen anonymisierte Daten erhoben werden, um festzustellen, welche Kurse besonders oft angeklickt werden oder wo Lernende länger verweilen. Daraus sollen Empfehlungen abgeleitet werden können. „Mittelfristig soll das Dashboard für Lernende individualisierte Empfehlungen abgeben“, blickt er in die Zukunft und fügt hinzu: „Der Datenschutz hat aber oberste Priorität.“ Denn auch das verantwortungsvolle Umgehen mit Daten ist Merkmal einer KI-kompetenten Gesellschaft.