Selbstfahrende Fahrzeuge sind bereits seit einiger Zeit Gegenstand der Debatte zu Künstlicher Intelligenz in unserem Alltag. Bei der Etablierung dieser neuen Techniken darf jedoch eines nicht vergessen werden: die Sicherheit im Straßenverkehr. Um diese bemüht sich das Berliner Unternehmen Peregrine, das mit seiner Technologie sowohl die Verbesserung der Verkehrssicherheit als auch der Betriebsprozesse garantieren möchte. #ki_berlin hat den CEO Steffen Heinrich getroffen und mit ihm über Mobilitätsdienste, intelligente Kameras und ihre Zukunft und Berlin als Magneten für Talente gesprochen.
Herr Heinrich, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben! Mit der von Ihnen entwickelten KI-Technologie soll der Straßenverkehr sicherer werden. Wie kam Ihnen die Idee zu dem Produkt?
Mit der Automobilindustrie ist eine unserer wichtigsten Industrien in einem großen Wandel. Die Automatisierung der Fahrzeuge und der Fertigung, die Elektromobilität, die Konnektivität sowie die Entwicklung neuer digitaler Produkte und Dienstleistungen sind die großen Themen. Die traditionellen Automobilkonzerne und Zulieferer sind exzellent im Fahrzeug- und Motorenbau, haben jedoch seit Jahren massive Probleme bei der Entwicklung eigener digitaler Produkte und Dienstleistungen. Insbesondere die Software-Entwicklung stellt diese Player vor Herausforderungen bei der digitalen Transformation.
Meine Mitgründer*innen Naja von Schmude, Jorit Schmelzle und ich haben in den letzten zehn Jahren intensiv im Bereich der selbstfahrenden Fahrzeuge geforscht und entwickelt, sowohl in Deutschland als auch im Silicon Valley. Wir haben früh gesehen, dass Kamerasensoren der zentrale Bestandteil des Wahrnehmungssystems von Fahrerassistenzsystemen und autonomen Autos werden. In 2025 wird jeder Neuwagen mindestens eine voll vernetzte Kamera haben. Für die Videosequenzen aus diesen Kameras gibt es außerhalb der Fahrerassistenzsysteme eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten.
Visuelle Informationen über das Fahrzeugumfeld sind für Mobilitätsdienste, Versicherungen sowie die Automobilindustrie selbst sehr relevant in der Verbesserung der eigenen Produkte und Angebote an die Kunden. Aber auch Kommunen können diese Daten bei der Optimierung der Infrastruktur und bei Themen wie Verkehrssicherheit und Umweltschutz sehr gut gebrauchen.
Wir glauben, dass es hier einen Neustart und doppeltes Tempo braucht, damit die Entwicklung von intelligenter Software und digitalen Dienstleistungen auch in Europa beim Kunden ankommt. Für uns war klar, dass wir ein neues, innovatives Geschäftsmodell für den Mobilitätssektor nur als Gründer*innen von außen aufbauen können.
Wie genau funktioniert die Technologie und wo genau im Verkehrsgeschehen kommt sie zum Einsatz?
Stellen Sie sich vor, jedes Auto eines Mobilitätsdienstes oder die Fahrzeuge eines Logistikanbieters hätten eine intelligente Kamera hinter der Windschutzscheibe. Eine Art virtueller Beifahrer mit Situationsbewusstsein zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, aber auch der Betriebsprozesse. Peregrine bietet seinen Kunden genau diesen „Beifahrer” an. Die visuellen Informationen erweitern Telematikdaten entscheidend, sodass Vorgänge präzise eingeschätzt und zukünftige Verläufe besser prädiziert werden können.
Essentiell ist, dass wir schon im Fahrzeug validieren, ob das Bildmaterial relevante Informationen für unsere Dienstleistungen enthält. Irrelevantes Bildmaterial wird gar nicht erst gespeichert oder weiterverarbeitet. So gelingt es uns, nur einen geringen Bruchteil der Daten mit einer hohen Dichte an Informationen zu gewinnen und wir sparen 99% Kosten bei der Hebung und Speicherung der Daten ein. Gleichzeitig legen wir höchste Standards des Datenschutzes an unsere Datenakquise an. Das heißt, dass personenbezogene Daten in Bildern wie beispielsweise Gesichter und Nummernschilder durch einen Algorithmus so verfremdet werden und damit ein Rückschluss auf die persönlichen Daten nicht mehr möglich ist.
Welche Vorteile entstehen durch den Einsatz Ihrer Lösung?
Durch den Einsatz unserer Software verhindern wir z.B. aktiv Verkehrsunfälle. Im Falle eines Unfalls liefen wir detaillierte Auskunft über den Unfallhergang. Mit unserem System fällt es Flottenbetreibern leichter, die Qualität stetig zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern. Beispielsweise durch individuelle Trainingsprogramme für die Fahrer, zugeschnitten auf deren Routen und Fahrverhalten. Darüber hinaus erhalten unsere Partner*innen erstmalig datenbasiert Entscheidungshilfen zu lokalen Verkehrsgegebenheiten. Dazu zählen unter anderem das Risiko entlang von Routen oder Fahrprofile für sogenannte Usage-based Insurance Produkte. Mit Blick auf die Technologie beschleunigen unsere Daten die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen.
Ihre Anwendung basiert auf der Nutzung von Daten aus Verkehrsvideos. Wie ist die Lage bezüglich des Datenschutzes? Konnten Sie diesen problemlos in Ihre Technologien integrieren?
Von Tag eins ist die Konformität mit der DSGVO für uns ein zentraler Baustein unserer Architektur. Wir versuchen stets nur so wenig Daten wie nötig für unsere Dienstleistungen zu erheben. Im Falle einer Erhebung von Informationen aus Bildmaterial nutzen wir intelligente Algorithmen zur Verfremdung personenbezogener Daten. Es verbleibt ein anonymer Datensatz, aber mit akkurater Beschreibung einer Verkehrsszene.
Was war für Sie ausschlaggebend dafür, sich mit Ihrem Unternehmen in Berlin niederzulassen? Welche Vorteile bringt der Standort mit sich?
Berlin ist auch 2020 nach wie vor ein Magnet für internationales Talent. Das ist Grundvoraussetzung für die Gründung eines Startups im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Von 14 Personen zählt unser Team in Berlin nur zwei gebürtige Berliner*innen. Die Frage ist aber natürlich berechtigt, gerade im Hinblick auf Najas und meine Tätigkeit im Silicon Valley. Obwohl das Ökosystem dort sicherlich überreizt ist, lebt es mehr als alle anderen von einem unglaublichen Netzwerk und Wissensaustausch unter Investor*innen und Gründer*innen. Mit Blick auf Europa fehlen aber auch in Berlin erfolgreiche Tech-Startup Gründungen im Softwarebereich abseits von SAP, Spotify oder Wirecard. Dieses Defizit bleibt spürbar.
In den letzten Jahren ist die KI-Szene in Berlin immer weiter gewachsen. Wie empfinden Sie den Status quo bezüglich neuer Technologien und Innovationen?
Die KI-Szene ist in der Tat stark wachsend. In 2012 gab es nur eine Handvoll Student*innen mit Fokus auf KI an den Berliner Universitäten FU, HU und TU. Heute ist das definitiv besser. Aber nicht jedes KI-Unternehmen erschafft zwangsweise eigenes IP. Oft bleibt es bei der Anwendung der Technologie und immer noch zu oft bleibt KI ein Sticker zur Aufwertung des eigenen Pitchdecks. Gesellschaftlich sind wir noch sehr am Anfang, was die Akzeptanz von KI-Systemen angeht. Dies wird sich ändern, wenn KI mehr Einzug in unser tägliches Leben hält. KI-Systeme in Medizin, Biologie und Sport, aber auch in der Finanzwelt oder dem Rechtswesen werden immer relevanter, zumeist als Unterstützung für menschliche Kolleg*innen. Diese Themen erfolgreich zu bewältigen, setzt voraus, dass der Mensch den Algorithmus ansatzweise versteht und seine Grenzen kennt. Die Grundlage hierfür könnte man schaffen, indem man mehr Schülerinnen und Schülern in Deutschland Basiswissen über die Informatik vermittelt.
Wie sehen Sie den Standort Berlin im Vergleich zu anderes KI-Hotspots weltweit? Lässt sich von hier aus auch international gut agieren?
Die Rahmenbedingungen in Berlin und Deutschland sind sehr gut. Die universitäre Ausbildung ist exzellent. Die Industrie und insbesondere der Mittelstand sind ideale Sparringspartner für KI-Unternehmen: Sie haben hohe fachliche Expertise und Daten aus dem Realbetrieb. Hier beneiden uns sicherlich viele internationale Wettbewerber. Im Vergleich zu E-Commerce Lösungen oder Software-as-a-Service Angeboten finden sich viele KI-Applikationen in tiefgreifenden technischen Produkten. Hier sehe ich International gerade in China, Israel und sicherlich auch im Silicon Valley mehr Erfahrung und best practices als bei uns. Das ist lösbar, setzt aber eine sehr enge und wohlwollende beidseitige Kooperation zwischen in Deutschland ansässigen Konzernen und KI-Startups voraus. Einen Nachteil, den sich KI-Startups mit anderen Branchen teilen, ist der erschwerte Marktzugang innerhalb Europas und die, im Vergleich zum amerikanischen Markt, schlechteren Skalierungsmöglichkeiten.
Welche Kooperationsmöglichkeiten gibt es für Ihr Unternehmen in Berlin? Gibt es Plattformen oder Formate, die sich für Sie als besonders hilfreich entpuppt haben und die Sie empfehlen können?
Berlin bietet tolle Möglichkeiten für Gründer*innen um ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen. Angefangen bei öffentlichen Programmen der IBB oder Berlin Partner, über internationale Accelerator-Programme. Weiterhin haben wir auch viele erfolgreiche Gründer*innen in der Stadt, die sich dafür einsetzen, dass es weitere Erfolgsgeschichten geben kann. Sehr gute teilweise selbstorganisierte Meetups in der Community helfen beim Wissensaustausch.
Vielen Dank für das Interview, Herr Heinrich!