Grafik einer Verkehrssituation, in der der automatisierte Bus „um die Ecke schauen" kann, eine Visualisierung der vernetzten Fahrzeuge mit den Sensoren und der Cloud

14 September 2021

BeIntelli lässt Berliner*innen die Mobilität von morgen erfahren.

Allmorgendliche Staus auf dem Weg zur Arbeit können bald genauso der Vergangenheit angehören, wie überfüllte Busse zu den Stoßzeiten. Die Mobilität der Zukunft werde vielmehr „geprägt sein von unterschiedlichen intelligenten Modalitäten – Fahrzeuge; dazu zählen nicht nur PKWs, sondern z. B. auch Transporter, Lieferroboter und autonome Busse – die sich intelligent und menschenähnlich verhalten werden, nachhaltig und CO2-neutral sind und sich untereinander in Abhängigkeit des individuellen Bedarfs verknüpfen lassen“, blickt Prof. Dr. Dr. h. c. Şahin Albayrak, Gründer und Leiter des Distributed Artificial Intelligence Laboratory (DAI-Labor) an der Technischen Universität Berlin, optimistisch in die Zukunft. Autonomes Fahren ermögliche neben höherer Verkehrssicherheit und einem besseren Verkehrsfluss auch eine bessere Kombination der Verkehrsmittel und die optimale Auslastung der unterschiedlichen Fahrzeugtypen, je nach Bedarf, ist der Informatiker überzeugt. „In Zukunft wird die bedarfsgerechte Nutzung und nicht das Besitzen eines eigenen Fahrzeugs im Vordergrund stehen“, ergänzt er, „so wird der Verkehr nachhaltiger und effizienter, es wird weniger Parkraum benötigt, die Städte werden wieder lebenswert und ländliche Regionen sind optimal angebunden, für sämtliche Szenarien der Logistik und der privaten Mobilität.“

Das Potenzial des Autonomen Fahrens für Gesellschaft, die Sicherheit und für den Wirtschaftsstandort Europa sind enorm, steht auch für die deutsche Regierung fest: Bis zum Jahr 2022 sollen Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen in den Regelbetrieb gebracht werden. Damit wird Deutschland der erste Staat weltweit, der Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holt. Doch nicht alle Bundesbürger sind so überzeugt von den Vorteilen des Autonomen Fahrens, wie etwa der Experte von der TU. Laut Umfragen glauben 45 Prozent der Autofahrenden nicht an die Verlässlichkeit der Fahrzeugtechnologie oder haben Angst vor Hackern. Für Prof. Dr. Dr. h. c. Şahin Albayrak sind diese Berührungsängste leicht erklärt: „Die wenigsten hatten bereits Gelegenheit, autonome Fahrzeuge live zu sehen oder gar in eines einzusteigen und so die Technologie wirklich zu begreifen.“ Das zu ändern, ist eines der Vorhaben des Projekts „BeIntelli“, das der Entrepreneur und Gründer verschiedener Start-ups leitet: „Unser Ziel (ist es), die Mobilität der Zukunft erlebbar zu machen und durch den Abbau von Berührungsängsten die Akzeptanz und somit den positiven Wandel zu fördern“, erklärt er, „wir möchten mit BeIntelli transparent informieren, laden zum Ausprobieren ein und möchten so Lust auf die Zukunft der Mobilität machen.“ Dafür baut BeIntelli unterschiedliche Touchpoints auf. Neben der Website als digitale Anlaufstelle soll ein geplantes Schaufenster Informationen und Veranstaltungen rund um das Thema Autonomes Fahren anbieten. „Um das Interesse der Bürger*innen noch zu bestärken, suchen wir den proaktiven Austausch, wo immer es möglich ist: beispielsweise auf einer Ausstellung im Rahmen der Wissensstadt Berlin und weiteren Veranstaltungen und Konferenzen im Verlauf des Jahres“, meint Albayrak.

BeIntelli bringt aktuelle Forschung auf die Straße

Vor allem aber bringt BeIntelli auf einem urbanen Testfeld im Herzen Berlins eine Fahrzeugflotte aus verschiedenen Fahrzeugtypen – von PKW bis zum Transporter – als Anschauungsmodelle auf die Straßen. Mit dem Pkw kann der Individualverkehr abgebildet werden, und der Transporter zeigt beispielsweise autonome Paketdienst- und Logistikszenarien. Doch mit dem Anschauen allein ist es nicht getan: „Insbesondere der aktuell im Umbau befindliche Bus“ werde „als mobiles Reallabor fungieren“, so der Leiter des DAI-Labors. „Hier können Bürger*innen einsteigen und auf Displays genau nachvollziehen, was das Fahrzeug wahrnimmt und, wie es auf seine Umgebung reagiert.“ Durch diese zielgerichtete Erprobung in realen Testumgebungen und die Demonstration in der Öffentlichkeit wird die Sichtbarkeit für die Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft erhöht und somit eine Schaufensterwirkung erzielt, heißt es auf der Website. So sollen die Nutzenden adäquates Verhalten mit den autonomen Fahrzeugen lernen. Zudem können frühzeitig zusätzliche Handlungsfelder identifiziert werden, die durch die neuen Technologien auftreten. Zwar handelt es sich dabei zunächst um Szenarien für den urbanen Raum. Diese lassen „sich jedoch adaptieren und unkompliziert auf den ländlichen Raum übertragen“, fügt Albayrak hinzu.

Karte mit der eingezeichneten Teststrecke im Herzen Berlins © DAI-Labor

Von DigiNet PS zu KI-Mobilitäts-OS von BeIntelli

BeIntelli ist nicht das erste Projekt, mit dem das DAI-Labor der TU Berlin die Mobilität von morgen schon heute nach Berlin bringt. Zwei Jahre lang sammelten die Wissenschaftler*innen gemeinsam mit Akteur*innen aus Forschung, Wirtschaft, IKT-Industrie und Verkehr entlang der Teststrecke an der Straße des 17. Juni Daten zu automatisiertem und vernetztem Fahren. „BeIntelli basiert auf den Erkenntnissen dieses Vorgängerprojekts mit dem Namen DigiNet-PS (Verlinken zu: https://ki-berlin.de/blog/article/kuenstliche-intelligenz-schafft-mobilitaet-der-zukunft)", so Albayrak. Kernstück des Projekts, das aus einem Konsortium von zwölf Partner*innen besteht und durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit 12,91 Millionen Euro gefördert wird, ist die Entwicklung eines skalierbaren Softwarestacks namens KI-Mobilitäts-OS. Dabei handelt es sich um „eine Art Betriebssystem, das verschiedene autonome Modalitäten befähigt, sich intelligent zu bewegen. Der Softwarestack stattet dabei die einzelnen Fahrzeuge, die Cloud und auch die Infrastruktur mit unterschiedlichen Basis-Fähigkeiten aus.“ Bei diesem Ansatz der sogenannten „verteilten Intelligenz“ wird die Teststrecke, die vom Brandenburger Tor über den Ernst-Reuter-Platz bis hin zur Gedächtniskirche reicht, in Segmente von etwa 400 m Länge unterteilt und mit jeweils einer Recheneinheit bestückt. Der gesamte Stack besteht aus mehreren Ebenen: Hardware, KI-Middleware, ADAS++ und KI-Plattform. Je nach Hardware sei die KI-Middleware für die Geräteintegration, für die Sammlung, Transformation, Aggregation und Datenvalidierung, für die Synchronisation der Daten zwischen Fahrzeugen, Straßensegmenten und Cloud, für die Datensicherheit und Teilsysteme sowie für die Gerätesteuerung zuständig. Die Ebene ADAS++ wiederum übernehme die Analyse, Modellbildung und Vorhersage der Daten und leite daraus geeignete Entscheidungen für das jeweilige Teilsystem ab. So ermöglicht das KI-Mobilitäts-OS den Einsatz von Künstlicher Intelligenz auf unterschiedlichen Ebenen: von der Nutzung von Rohdaten wie Wetter oder Parkplatzbelegung bis hin zur Anwendung auf zusammengeführte Daten aus einzelnen Einsatzstellen, die beispielsweise die Ampelschaltung auf veränderte Wetterbedingungen wie Glätte anpasst oder Routen verändert, um Staus, Lärmbelastung und Unfälle zu vermeiden. „Die KI-Plattform umfasst Repositories und Werkzeuge, mit denen auf Basis der Funktionalitäten der KI-Middleware und ADAS++ unterschiedliche Daten, KI-Modelle, Dienste und Anwendungen bereitgestellt werden können, die von anderen Akteuren im Rahmen von Plattformökonomie genutzt werden sollen“, präzisiert der Konsortialleiter.

Prof. Sahin Albayrak © DAI-Labor

Plattformökonomie zur Entwicklung echter Innovation

Die vielfältigen Echtzeit- und Rohdaten stellt BeIntelli aber nicht nur den zwölf Konsortiumsmitgliedern zur Verfügung, die das Projekt in unterschiedlichen Teilaspekten wie der Softwareentwicklung, der Umrüstung der Versuchsträger mit autonomer Fahrtechnik oder durch deren Beratungsexperise unterstützen. Auch andere Marktteilnehmer wie Start-ups können die Daten und Modelle für die Entwicklung und das Testen neuartiger Anwendungen in realer Umgebung verwenden. „Dass Plattformökonomie die Entwicklung echter Innovationen fördert, konnte in anderen Domänen bereits bewiesen werden“, hat der Ansatz für den langjährigen TU-Professor Sinn, „wir sind überzeugt, dass Plattformökonomie das Fundament bildet, um völlig neue Lösungen für die Mobilität der Zukunft zu entwickeln. Sie ist die Grundlage für neue Ökosysteme, da sie verschiedene Stakeholder (Plattformbetreiber, Anbieter und Nutzer) zusammenbringt und den Austausch von Ideen und Diensten ermöglicht.“ Bis zum Projektende im Juni 2023 möchte BeIntelli so zu einem möglichst lebendigen Ökosystem rund um die Mobilität der Zukunft beitragen. Zudem „möchten wir eine Referenzkonfiguration unterschiedlicher digitalisierter Fahrzeuge der Zukunft realisieren, sowie den Softwarestack als KI-Mobility-OS in verschiedenen Verkehrsmitteln (Versuchsträgern) und Infrastruktur implementieren“, hofft Prof. Dr. Dr. h. c. Şahin Albayrak und fügt hinzu: „Gleichzeitig möchten wir dieses zukunftsrelevante Thema der breiten Gesellschaft näherbringen und so Akzeptanz fördern.“ Schließlich ist die Automatisierung auf deutschen Straßen spätestens ab 2022 Realität. Jetzt geht es darum, der Technologie zu vertrauen und deren Potenzial richtig zu nutzen.