Die Automobilindustrie steht an der Spitze des technologischen Fortschritts, mit Künstlicher Intelligenz (KI) als Schlüsseltechnologie. Continental, ein weltweit führender Automobilzulieferer, aber auch ein Technologieunternehmen, hat diesen Trend erkannt und Ende 2021 ein eigenes KI-Labor eröffnet. Hier arbeitet ein Team von ExpertInnen an bahnbrechenden KI-Technologien, mit dem Ziel, die Zukunft der Mobilität zu gestalten.
Im Zentrum dieser Innovation steht Dr. Andreas Weinlich, der Leiter des KI-Labors bei Continental in Berlin. In unserem Gespräch teilt er seine Erfahrungen, gibt uns einen direkten Einblick in die tägliche Arbeit seines Teams und zeigt auf, wie sie die Möglichkeiten der KI ausloten, um die Mobilitätslandschaft zu verändern.
Dr. Weinlich, Continental ist weltweit bekannt für seine führende Rolle in der Automobilindustrie. Mit der Eröffnung eines KI-Labors in Berlin erweitern Sie Ihre Kapazitäten im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Können Sie uns mehr über die Motivation hinter dieser Entscheidung erzählen und warum Berlin als Standort gewählt wurde?
Die KI nimmt innerhalb unseres Unternehmens ebenso wie in der gesamten Automobilbranche einen zunehmend hohen Stellenwert ein. In diesem sich unglaublich schnell entwickelnden Themenkomplex ist es wichtig, schnell auf die neuesten Technologien aufspringen zu können und das gelingt nur, wenn man sowohl nah an der Forschung als auch nah an der sehr agil agierenden Startup-Szene ist. Durch unsere Büros im AI Campus, als Co-working Space mit täglichen Veranstaltungen zum Thema als auch exzellenten Möglichkeiten zum Netzwerken, haben wir das geschafft. Durch die Kooperation mit ausgewählten Universitäten garantieren wir zusätzlich einen effizienten Technologietransfer in unser Unternehmen.
Sie arbeiten mit Technologien wie Computer Vision, Hybrid-KI und automatisiertem Daten-Labeling. Können Sie ein konkretes Projekt oder eine spezifische Anwendung beschreiben, in der diese Technologien zum Einsatz kommen und wie sie die Arbeit bei Continental prägen?
Im Zuge des öffentlich geförderten Projektes KI Wissen forschen wir an Hybriden KI-Methoden, die sich zum Ziel gesetzt haben, herkömmliche Verfahren mit KI-Verfahren zu verbinden und so das Beste aus beiden Welten in Einklang zu bringen. So fließen beispielsweise in die Wegeplanung beim hochautomatisierten und autonomen Fahren in Zukunft nicht nur Beobachtungen aus vielen Tausend Real-World-Aufnahmen ein, um per KI eine möglichst intelligente Fahrtrichtung zu wählen, sondern ebenso die sehr konventionellen Randbedingungen wie physikalische Einschränkungen des Fahrzeugs und der Umwelt, z. B. Straßenbreite, Straßenverlauf und Bremsweg.
Sie hatten einmal betont, dass die Geschwindigkeit der KI-Entwicklung die traditionellen Methoden der Softwareentwicklung herausfordert. Können Sie diese Aussage weiter ausführen und uns erzählen, wie Sie diese Herausforderung bei Continental angehen?
Nicht nur die traditionellen, sondern selbst die modernen Methoden der Softwareentwicklung! Diese zielen vor allem darauf ab, bereits hinreichend geläufige Lösungsansätze schneller in den Markt zu bekommen. Während dieses Vorgehen bei etablierten Lösungsansätzen ausreichend sein mag, kommt es bei der Vielzahl an verfügbaren KI-Ansätzen jedoch zusätzlich darauf an, schon vor Beginn der eigentlichen Entwicklungen genau die richtigen und besten auszuwählen – und diese ändern sich zu alledem noch fast monatlich. Eine effiziente Softwareentwicklung allein genügt hier also nicht mehr. Es ist vielmehr zusätzlich eine sehr gute Vernetzung mit der Wissenschaft und Startup-Szene notwendig, um mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Mit unserem AI Lab in Berlin schlagen wir, wie oben beschrieben, beide Fliegen mit einer Klappe und ergänzen damit unsere bereits eingespielten Softwareteams optimal.
Wie trägt das Berliner KI-Labor zu den Bemühungen von Continental bei, die großen Trends in der Automobilindustrie – automatisiertes Fahren, Konnektivität, Elektrifizierung und Shared Mobility – zu gestalten?
Gestalten ist in diesem Zusammenhang ein sehr passend gewählter Begriff: Wir sind durch unser forschungslastiges Konzept, das vor allem auf KI-Wissenschaftler und Doktoranden setzt, in viele der spannendsten dieser Themen involviert. Mit unserem autonomen mobilen Roboter bilden wir beispielsweise die gesamte Kette ab: Ein elektrifiziertes Fahrzeug, das, über ein Flottenmanagementsystem vernetzt, autonom Pakete an die verschiedensten Empfänger ausliefern soll. Unsere Mitarbeiter fokussieren sich hier auf die verschiedenen Aspekte eines solchen Systems und bilden so ein starkes Team, das, z. B. nach Abschluss einer Doktorarbeit, dem Konzern als hochqualifizierte Nachwuchskräfte zu Verfügung steht. Neben diesem Fokus bedienen wir uns bei Continental jedoch sehr breit der KI-Technologie, die neben den offensichtlichen Zukunftsthemen auch unsere internen Prozesse, wie z. B. das arbeitsaufwändige Anforderungsmanagement oder Testing, vereinfachen soll, um Continental zu einer „AI Empowered Company“ zu machen.
Ihr Lab sitzt am AI Campus Berlin. Welche Rolle spielen die Zusammenarbeit und der Austausch am Campus? Können Sie uns ein Beispiel geben, wie Kollaboration Ihre Arbeit im KI-Labor beeinflusst hat?
Durch die vielen Events und Vorträge, die mehrmals wöchentlich stattfinden, ist es hier sehr einfach, in Kontakt mit Kollegen zu kommen, die sich mit ähnlichen Techniken beschäftigen. So tauschen wir uns z. B. in der Safe and Secure AI Community mit den Nachbarunternehmen regelmäßig zu diesen für unsere Branche so wichtigen Themen aus oder bekommen durch die Paper Discussion Group regelmäßig neuesten Input zu den aktuellen Hot Topics. Ohne Namen zu nennen, sind wir auch bereits ins Gespräch mit anderen hier vertretenen Unternehmen gekommen, die durch ihre Erfahrung und Spezialisierung beispielsweise Services zur Verfügung stellen, die wir intern so nicht abbilden könnten.
Können Sie uns einige Projekte oder Anwendungen vorstellen, die im KI-Labor entwickelt wurden und auf die Sie besonders stolz sind? Was können wir in der nahen Zukunft von Ihrem Labor erwarten?
Zwei hatte ich oben bereits vorgestellt – ein Drittes beschäftigt sich mit der Frage, wie „gute“ Daten für ein KI-System aussehen müssen und welche Methoden verwendet werden können, um diese bestmöglich aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen. Und das alles soll automotive-typisch natürlich in Echtzeit und am besten direkt im Fahrzeug funktionieren. In der aktuellen Entwicklung ist dies eines der treibenden Probleme, von dessen Lösung wir uns einen Rundumschlag sowohl bei den Entwicklungskosten als auch bei der Qualität der Ergebnisse versprechen. Auch im Bereich der erklärbaren KI haben wir zuletzt einen „Best Industry Paper Award“ verzeichnen können, was für ein Lab, das gerade mal zwei Jahre alt ist, schon beachtlich ist. Die ersten größeren Ergebnisse erwarten wir, sobald die ersten unserer Mitarbeiter ihre Doktorarbeiten abschließen.
Wie fördern Sie im KI-Labor eine Kultur der Innovation und des Unternehmertums und welche Auswirkungen hat diese Haltung auf Ihre Arbeitsweise und die Ergebnisse Ihres Teams?
Durch eine sehr flexible Arbeits- und Aufgabengestaltung als auch durch unseren Innovationsprozess geben wir unseren Mitarbeitern gezielt die Freiheit und auch die Anerkennung beim Vorschlag und der Verwirklichung von Ideen. Dieser Innovationsprozess erlaubt es uns, Ideen als Prototyp zu realisieren und im Anschluss an unsere Geschäftsfelder zu promoten. Gleichzeitig muss sich jede Idee jedoch bereits beim Vorschlag einem harten Auswahlprozess stellen, der u. a. auch die geschäftliche Verwertbarkeit untersucht, sowie, ob die Idee mit unserer Continental-Zukunftsstrategie in Einklang steht. Wird eine Idee realisiert, steht das Team natürlich mit einem Vielfachen des in einem Unternehmen üblichen Engagements hinter der Realisierung, was man spätestens bei der Begeisterung in den Augen beim Anblick erster Ergebnisse sieht.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!