Die Vorstellung einer unterirdischen Kanalisation und die eines klinischen Serverraums können unterschiedlicher nicht sein, denn außer einem monotonen Grundrauschen haben beide nicht viel gemein. Da wundert es schon, dass Professor Dr. Volker Markl am Rande einer internationalen Fachtagung genau diesen Vergleich bemüht, um gegenüber dem Laien auf den Punkt zu bringen, was er tut. Er sei im Grunde genommen so etwas wie ein Klempner, beschreibt er seine Arbeit sehr bildhaft: „Man braucht nun mal Leitungen, Hochdruckpumpen, Kläranlagen, um mit Wasser am Ende tolle Dinge machen zu können, etwa Springbrunnen zu bauen oder ein leckeres Gericht zu kochen. Und ich kümmere mich darum, dass es läuft mit der Wasserversorgung.“
Das flüssige Nass steht hier allerdings für einen ganz anderen Rohstoff – den der fortschreitenden Digitalisierung: Daten! Markl ist Leiter des Berlin Big Data Centers (BBDC) und Co-Direktor des Berliner Zentrums für Maschinelles Lernen (BZML). Beides sind Berliner Institutionen, die sich – eng verzahnt – mit den Grundlagen dessen befassen, was man gemeinhin unter Künstlicher Intelligenz zusammenfasst. Dabei ist der Begriff in Forscherkreisen nicht unbedingt immer erste Wahl, hebt Professor Dr. Klaus-Robert Müller hervor – genau wie sein Kollege eine internationale Koryphäe seines Fachs, Sprecher des BZML und Co-Direktor am BBDC: „Es ist ein Wort, um der Öffentlichkeit ein vages Gefühl zu geben“, sagt er. Basis dessen aber seien eben maschinelles Lernen und Datenbankmanagement, letztlich Mathematik und Informatik.
Bei diesen Themen hat Berlin mit den beiden genannten Institutionen, BBDC und BZML, und deren enger Kooperation eine wahre Spitzenposition in Deutschland und eine Vorreiterrolle auch weit darüber hinaus. „Alle Maschinen lernen aus Daten. Punkt“, unterstreicht Müller mit Nachdruck das universelle Potenzial der Arbeit am Standort. Es gilt aber, diesen Rohstoff adäquat zu beschaffen, verantwortungsvoll damit umzugehen, die unzähligen Einzelinformationen zu verwalten und Maschinen damit derart zu „füttern“, dass sie sie optimal analysieren und Zusammenhänge zutage bringen können. Aber: „Man sitzt nicht die ganze Zeit vorm Computer im stillen Kämmerlein“, korrigiert Markl das sich bei manchem einstellende Vorurteil, „es handelt sich in Wirklichkeit um einen sehr kommunikativen Beruf, abwechslungsreich, spannend, mit Raum für Ideen und Visionen. Wir machen uns Gedanken über Projekte, schreiben wissenschaftliche Artikel, sind dabei, wenn Start-ups entstehen und wachsen, kooperieren mit der Industrie und kommen viel herum.“
Zahlreiche Erfolge konnten die zigfach ausgezeichneten Wissenschaftler so bereits feiern, liefern sie mit ihren Teams doch den Motor einer Vielzahl populärer Entwicklungen. Markls Forschung ist unter anderem die weltweit genutzte Anwendung „Apache Flink“ zu verdanken, die Computer zur Analyse riesiger Datenmengen miteinander vernetzt und deren Kooperation managt. Müller bilanziert allein für seine Arbeitsgruppe bis jetzt rund 15 Startup-Gründungen – mit 400 Arbeitsplätzen in der Hauptstadt. Seine Ergebnisse finden, um nur einige Beispiele zu nennen, auch Eingang in Software zur Bild- oder Spracherkennung, in die Automobilindustrie beim Thema Autonomes Fahren oder in die Medizin. Dabei geht es etwa um die Analyse und letztlich auch die Vorhersagbarkeit der Entwicklung von Krebszellen oder eine Hirn-Computer-Schnittstelle, die Locked-in-Patienten helfen soll, sich verständlich zu machen. „Kompetenzzentren sind Plattformen, über die Wissen mit unterschiedlichen Disziplinen ausgetauscht wird“, berichtet Müller, „und wir stehen in Dialog mit der Wirtschaft und nicht zuletzt der Gesellschaft.. Denn wir versuchen stetig den Menschen klarzumachen, was wir tun.“
Begeisterung wolle man wecken hier in und von Berlin aus, Chancen verständlich machen. Auch und gerade in der Politik gilt es für sie deshalb, dies zu transportieren. Im letzten Sommer hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum KI-Expertenaustausch geladen – und auch Müller und Markl waren unter den Gesprächspartnern. Im Kern geht es um eine nationale Strategie, die Potenziale der Digitalisierung bündeln soll. Dies ist auch ein bedeutsames Anliegen der beiden Berliner Wissenschaftler, denn nur mit der politischen Unterstützung auf Bundes- und auch Landesebene kann sich der Standort weiterentwickeln, kann Exzellenz sich noch stärker herausbilden: „Wir haben diese Kompetenz in Berlin, und die muss nachhaltig gesichert werden“, hebt Datenmanagement-Fachmann Markl hervor. Das Wichtigste sei, dass Gruppen von Spezialisten längerfristig Zeit und Raum zur ergebnisoffenen Zusammenarbeit bekämen, bei gleichzeitiger steter Finanzierung, außerdem ein attraktives Forschungsumfeld sowie die Möglichkeit, Startup-Gründungen weiter anzuschieben und zu begleiten: „Die meisten Leute nehmen das, was sie kennen, und extrapolieren das. Aber so funktioniert Innovation nicht! Sie ist nicht planbar“, unterstreicht Müller. Vielmehr passiere bei breit angelegter ausdauernder Arbeit manchmal bestenfalls etwas Unerwartetes, „und danach sieht die Welt anders aus. Das ist im Grunde unser Kerngeschäft.“
Spätestens an dieser Stelle versteht auch der Letzte, wie mannigfaltig die Datenpotenziale noch schlummernd darauf warten dürften, mithilfe der Grundlagenforschung aus Berlin hervorgebracht und kanalisiert zu werden. Ohne Frage bedeutet das im Übrigen auch ein gewisses Wettrennen mit der Konkurrenz. USA und China sind in der Branche sehr weit, doch Deutschland – und gerade Berlin – setzt seit einigen Jahren zum regelrechten Sprint an. „Ich glaube, wir sind ganz gut dabei“, sagt Markl bescheiden über die eigenen Leistungen. Jedoch hebt er, wie Müller auch, das wachsende Innovationsklima mit neuen Firmen und mehr Kapital hervor.
Und auch die Gründungsinfrastruktur sei auf dem Vormarsch, eine Branche, die sich mit der Zeit selbst beflügelt: Vorbilder, Berater, Mentoren, Business Angels der ersten Generation geben ihr Wissen weiter, ebenso ihre Kontakte in die Industrie. Außerdem, betont Markl, sorge die Ausrichtung der Berliner Hochschullandschaft im Umfeld von Big Data neben der wissenschaftlichen Grundlage auch für den nötigen Geschäftssinn von Studierenden. Gut wiederum fürs Recruiting: „Ich könnte dreimal so viele Leute einstellen, die fantastisch sind, wie ich Stellen habe“, berichtet Müller. Bei großer Nachfrage am Markt ein echter Luxus. Doch neben den Mitteln sind auch die persönlichen Ressourcen zuletzt doch endlich, räumt er kurz darauf – ein wenig augenzwinkernd – ein: „Ich möchte schließlich irgendwann auch mal zur Ruhe kommen, als alter weiser Professor – und Rosen züchten.“ Und mag diese Vorstellung auch wieder eher symbolisch gemeint sein vom Lehrer der Maschinen, so fügt sie sich doch ins Bild vom Anfang. Denn auch Rosen brauchen schließlich Wasser, um prachtvoll zu erblühen.