Claudia Pohlink, Head of AI T-Labs © Deutsche Telekom

19 März 2019

„Vorurteile entstehen nicht durch die KI selbst, sie befinden sich bereits in den verwendeten Daten.“

Seit 2017 gehört Künstliche Intelligenz zu den drei Kernthemen der Telekom Innovation Laboratories (T-Labs) der Deutschen Telekom. Seither zählt die Forschungs- und Entwicklungs-Einheit zu den aktivsten KI-Playern in Berlin. #KI_Berlin hat mit Claudia Pohlink, Head of AI T-Labs über die Balance zwischen konkreten Problemlösungen sowie sozialer Verantwortung gesprochen und herausgefunden, warum es für erfolgreiche Innovationen das Dreigestirn aus Konzern, Forschung und Startups braucht.

Sie sind seit September 2018 für die KI-Innovationen in den T-Labs der Deutschen Telekom zuständig. Woran arbeiten Sie genau?

In den T-Labs prüfen wir, welche technologischen Trends und Anwendungsfelder für uns relevant sind. Aktuell sind das bei uns drei Themen: Blockchain, Experience und Künstliche Intelligenz. Hier konzentrieren wir uns auf drei strategische Felder: Network-Automation, Quantum AI und Intuitive UI. Beim ersten Bereich gibt es konkrete Beispiele vor allem bei der Optimierung der Kommunikationsnetzwerke. So haben wir in Zusammenarbeit mit dem Telekom Startup Benocs sichtbar gemacht, wie die Netzwerk-Last verteilt ist. Durch die Verarbeitung historischer Daten können wir dank Machine Learning vorhersagen, welche der Netzwerke, wie zum Beispiel Netflix oder YouTube, die wichtigsten Treiber sind, wo die Last auftritt und wie sie zukünftig verteilt sein könnte. Die letzten beiden sind explorative Felder. Bei Quantum AI geht es um die Verbesserung der Geschwindigkeit oder der Qualität der maschinellen Lernprozesse. Dazu werden rechenintensive Routinen auf einem Quantenrechner ausgeführt. Intuitive UI (User Interface) hingegen passt die Benutzeroberfläche mit Hilfe von KI individuell auf eine Person an, sodass diese das Ganze intuitiv bedienen kann.

Sie haben die Kollaboration mit einem Startup erwähnt...

Ja, T-Labs gehen schon lange Kooperationen mit Start-ups ein, haben mit Hubraum einen Tech-Inkubator und betreiben mit TechBoost ein eigenes Start-up-Programm. Seit Jahren gibt es zahlreiche Ausgründungen – Spin-Offs – der Deutschen Telekom auf dem Markt. Für uns ist die Zusammenarbeit mit Startups sehr attraktiv, weil es sich um schnelle, flexible, innovative Einheiten handelt, die sich auf ein bestimmtes Feld spezialisiert haben, und hier Wissen einbringen, das wir uns zunutze machen können. Anders herum profitieren die Startups von der Zusammenarbeit, indem sie auf Infrastruktur und Kontakte eines Konzernes zugreifen können.

Wie funktioniert diese Zusammenarbeit konkret?

Ich habe gerade auf LinkedIn eine Studie über die Innovationskraft von kleinen und großen Teams gelesen. Heraus kam, dass Patente eher aus kleineren Teams kommen. Die Größeren hingegen sind diejenigen, die die Umsetzung stemmen und Innovationen, wenn sie einmal da sind, besser umsetzen können. Das ist insofern interessant, als dass wir bei der Deutschen Telekom genau das tun: Wir forschen nicht fernab, sondern versuchen, mit Startups und Forschungseinrichtungen konkrete Lösungen für die Kundenprobleme zu erarbeiten und diese Innovationskraft sofort in den Konzern hineinzubringen. Da haben wir sehr viel in den letzten zehn bis 15 Jahren gelernt. Das ist auch harte Arbeit. Die Arbeit in einem Lab, also einer Einheit für Forschung und Entwicklung (Research & Development) mit ihren Trendscouting-Aktivitäten klingt oft so fancy und cool, doch es ist ein großer Aufwand, Themen zu identifizieren und so zu transformieren, dass sie zur Telekom passen und von den aufnehmenden Einheiten positiv aufgenommen werden. Dafür müssen die internen Teams von Anfang an eingebunden sein und die Entwicklungen mitsteuern können. Das ist eine Gratwanderung.

Welche Rolle spielt dabei der Standort Berlin?

Es ist definitiv so, dass die Nähe zu Forschungseinrichtungen wie der TU Berlin, die ein starker Partner der T-Labs ist, oder zum Fraunhofer Institut, aber auch zur Startup-Community hilfreich ist. Dieses Dreigestirn ist in Berlin stark vertreten. Außerdem sind wir nah an den Talenten dran. Dazu kommen noch die Industrie und andere Branchen, die ihre KI-Forschungseinrichtungen ebenfalls in Berlin haben. Wir haben allerdings auch Forschungskooperationen mit Budapest und Wien; Asien oder die USA sind interessante Partner für uns. Nicht zu vergessen Israel, das im Bereich KI und Cyber-Security stark ist. Mit der Ben Gurion Universität und unseren T-Labs-Kollegen in Israel arbeiten wir gerade an der Möglichkeit, durch Muster in Netzwerkdaten Cyber-Attacken zu erkennen, bevor sie da sind. Das zu entwickeln ist eines unserer Ziele für 2019.

Die T-Labs erarbeiten aber nicht nur Lösungen für Probleme der Telekom. Sie gehören zu den aktivsten Playern der Berliner IT-Szene...
Ja, es ist wichtig, in der Community aktiv zu sein, um die Glaubwürdigkeit zu haben. Deshalb haben wir die „Lange Nacht der Startups“ ins Leben gerufen, nehmen an Meet-ups, wie den „AI Monday“, teil und veranstalten selbst welche. Die Meet-up-Kultur ist in Berlin sehr aktiv, da könnte man jeden Abend zu Veranstaltungen über Blockchain, KI oder Experience gehen.

Daneben engagieren Sie sich für die Non-Profit-Organisation „Women in AI“. Was hat es damit auf sich?

(Holt tief Luft) Wo soll ich anfangen...? Durch mein Netzwerk habe ich Moojan Asghari, eine der Gründerinnen von Women in AI, kennengelernt. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen, Kenza Ait Si Abbou Lyadini und Vidya Munde-Müller – inzwischen selbst WAI Ambassador –, haben wir letztes Jahr eine Veranstaltung zu „Women in AI“ durchgeführt. Ziel ist es, international Frauen aus dem Bereich KI zusammenzubringen, Wissen auszutauschen und sie dabei zu unterstützen, auf Bühnen, Events und in den Medien präsent zu sein.

Warum ist das wichtig?

Wir brauchen mehr Frauen und mehr Diversity in KI. Wenn man mit Machine Learning-Methoden arbeitet, hängt die Qualität des Ergebnisses von der Qualität der verwendeten Daten ab. Vorurteile entstehen nicht durch die KI selbst, sie befinden sich bereits in den verwendeten Daten. Ich gebe ein Beispiel: Amazon hat KI bei seinen Bewerbungsprozessen ausprobiert und festgestellt, dass immer Männer vorgeschlagen wurden. Keine Frauen. Das ist aus historischen Daten erklärbar, weil sich mehr Männer beworben haben und dementsprechend mehr Männer eingestellt worden sind. Das ist in einem technologischen Konzern ganz normal. Wir müssen uns aber überlegen, wie wir diese Vorurteile entfernen und Empfehlungen unabhängig vom Geschlecht bekommen. Das gilt nicht nur für Frauen, sondern für jede andere Gruppe – wir brauchen höhere Diversität. Als Frau sehe ich es in meiner Verantwortung, mich hier verstärkt zu engagieren.

In diesem Zusammenhang haben Sie mit den T-Labs 2018 erstmals einen „Hackathon“ speziell für Frauen organisiert. Wie kam es dazu?

Wir haben gemerkt, dass an Hackathons deutlich mehr Männer teilnehmen – egal, ob zu Themen wie Blockchain, AI oder Data Science. Wir haben versucht herauszufinden, woran das liegt und gemerkt, dass Frauen nicht selbstbewusst genug auftreten. Sie glauben nicht qualifiziert zu sein, obwohl sie mindestens genauso gute Experten sind wie ihre männlichen Kollegen. Generell ist die Dynamik im Team immer stark von Männern geprägt, Frauen halten sich zurück. Beim Hackathon nur für Frauen war eine andere Dynamik zu spüren. Da ging es weniger um „wer sagt am meisten“, es wurde nicht gleich die Führungsrolle ergriffen, sondern es war team- und zielorientierter, als bei anderen Hackathons. Wir haben auch super gutes Feedback bekommen. Viele meinten: „Bitte mehr davon – nicht nur in Berlin.“ Wir haben uns für 2019 einen weiteren vorgenommen.

Was haben Sie sonst noch geplant?

Generell ist es für mich wichtig, die Balance zu halten: Einerseits nehmen wir uns jährlich zwei konkrete Projekte vor, die Impact für den Konzern haben – im Jahr 2019 sind es die Themen im Bereich Cyber-Security und Network Automation. Andererseits haben wir einen Auftrag in Richtung Bildung und Education. Wir möchten, dass die Menschen den Nutzen erkennen und sehen, woran die Deutsche Telekom bereits arbeitet. Wir erleben stark, dass es bei KI schnell um die Ethikfrage geht. Hier ist Transparenz gefragt. Daher haben wir uns bei der Telekom selbstbindende Leitlinien für den Umgang und Einsatz von KI gegeben. Wir möchten auch zeigen, was es aktuell an Innovationen gibt, um Berührungsängste zu nehmen, aber auch Erwartungshaltungen zu begegnen. Das ist uns bei den ganz jungen Menschen ebenfalls wichtig. Wir haben im Januar 2019 deshalb eine Veranstaltung „KI für Kinder“ angeboten, wo Kinder an sechs verschiedenen Stationen unterschiedliche Roboter und KI ausprobieren konnten. Sie konnten Alexa Fragen stellen, mit Nao oder Lego-Robotern interagieren, und es war interessant zu sehen, wie neugierig die Kinder sind. Für sie gehören Roboter und Maschinen zum täglichen Leben dazu. Auch hier haben wir sehr gutes Feedback und Anfragen aus vielen Städten erhalten. Es gibt verschiedenste Events, über die wir nachdenken.

Frau Pohlink, herzlichen Dank für das Gespräch.