In einer Großstadt wie Berlin spielt effizientes Abfallmanagement eine entscheidende Rolle. Ein Schlüsselakteur in diesem Bereich ist die Berlin Recycling GmbH, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) neue Wege in der Abfallentsorgung und beim Recycling geht. Ihre KI-gestützte Routenplanung hilft nicht nur dabei, den Betrieb zu optimieren, sondern auch den CO2-Ausstoß zu verringern. Im Interview mit Bianka Rieder, CEO von Berlin Recycling, gehen wir auf die Herausforderungen, Möglichkeiten und die Zukunft der KI in der Abfallwirtschaft ein.
Berlin Recycling hat sich der Aufgabe verschrieben, Abfallentsorgung und Recyclingprozesse in einer Großstadt wie Berlin zu optimieren. Könnten Sie uns einen Überblick darüber geben, wie Künstliche Intelligenz (KI) in Ihren Prozessen zum Einsatz kommt?
Wir haben uns vor circa 2 Jahren Gedanken gemacht, wie es zukünftig möglich ist, unsere Kraftfahrer langfristig im Unternehmen fit zu halten und zu beschäftigen. Dabei kommt es drauf an, zum einen die genauen Daten einer Tagestour zu wissen (Bsp.: Behälteranzahl und -größe) und zum anderen auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu kennen und in die Planung mit einfließen zu lassen. Mit diesen und weiteren erhobenen Daten konnten wir die KI „füttern“, damit diese dann die bestmögliche Tourenbesetzung für die geplante Tour ermittelt und disponiert. Dies ist allerdings nur ein Teil. Die übergeordnete Vision besteht darin, mittels KI, u.a. Prognosen zu erstellen, wie „schwer“ oder „leicht“ ein (Neu-)Kunde für unsere Kraftfahrer sein wird. Somit erhalten wir eine Art Klassifizierung nach Belastungsgrad und können diese Klassifizierung nutzen, um die Touren gerecht(er) aufzubauen. Zum Ende hin soll ein Dispositions-Tourenplanungssystem mithilfe von KI entstehen, wobei die KI schlussendlich von der Disposition bis hin zur operativen Tourenplanung automatisch die Tour und die Tourenmannschaft zusammensetzt, die eine bestmögliche Übereinstimmung aufweist.
In einer komplexen urbanen Umgebung wie Berlin ist die effiziente Routenplanung für Müllfahrzeuge sicherlich eine große Herausforderung. Wie hat die Einführung von KI diese Aspekte Ihrer Arbeit verändert und welche konkreten Verbesserungen konnten Sie bereits feststellen?
Wir konnten bspw. durch Einführung einer automatisierten Routenbereitstellung unseren Kraftfahrern erheblichen Arbeitsaufwand abnehmen, indem sie ihre Touren nicht mehr handschriftlich auf einem sogenannten Laufzettel niederschreiben müssen, sondern der geplanten Route einfach folgen können. Das spart Zeit und Papier!
Die Reduzierung der CO2-Emissionen ist ein zentrales Anliegen für viele Städte und Unternehmen. Wie hat die Implementierung von KI bei Berlin Recycling zur Erreichung dieser Ziele beigetragen und wie integriert sich dies in Ihre langfristige Strategie für nachhaltige Entwicklung?
Die permanente Optimierung unserer Tourengebiete ist Teil der Qualitätsanforderungen innerhalb unserer Prozesse und wurde auch vor Einsatz von KI streng eingehalten. Die Reduzierung von Fahrstrecken innerhalb der Touren ist seit mehr als 10 Jahren in unseren Umweltmanagementsystem verankert und wird jährlich fortgeführt. Die Nutzung von KI in diesem Bereich ist daher eher als Automatisierung von Prozessen anzusehen. Natürlich zahlt es auf unser Nachhaltigkeitsmanagement ein, wenn wir es schaffen, unsere Mitarbeiter langfristig im Unternehmen zu halten und insbesondere fit zu halten.
Jede Technologieeinführung bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Welche Hürden mussten Sie bei der Implementierung von KI in den Arbeitsabläufen von Berlin Recycling überwinden und wie hat sich dies auf Ihre Mitarbeiter ausgewirkt?
Die Skepsis seitens unserer Fahrer, ob die Einteilung auf die Touren sowie die Routenbereitstellung wirklich funktioniert, war zu Beginn natürlich hoch, konnte aber durch vorherige Ansprachen und Aussprachen, insbesondere mit dem Betriebsrat, reduziert werden. Besonders im Bereich Routenbereitstellung konnte man im Ergebnis sehen, dass die Mitarbeiter zufriedener waren, da der lästige „Schreibkram“ der Laufzettel entfiel und sie sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren konnten.
Zusätzlich musste sichergestellt werden, dass die Funktionen systemisch an das ERP-System angeschlossen sein werden, was sich als bisher größte Hürde (Zeit, Kosten) darstellte. Daher nutzten wir zu Beginn ein BI-Tool (Business intelligence – QlikSense), welches die Disponenten bis heute nutzen können.
Die Zukunft der Abfallentsorgung und des Recyclings wird zweifellos stark von der Weiterentwicklung der KI beeinflusst sein. Welche Vision haben Sie für die zukünftige Anwendung von KI in diesen Bereichen und welche konkreten Schritte unternehmen Sie, um diese Vision umzusetzen?
Eine unserer Visionen heißt ITP. ITP steht für intelligente Tourenplanung und soll einen Beitrag dazu leisten, unsere Kraftfahrer während ihres Arbeitslebens langfristig gesund zu halten. Was wir dafür benötigen, sind weitere Daten. Beispielsweise Daten zum Fitnessgrad der Mitarbeiter und Daten zur Einsatzstelle (Stufen, Keller, Hinterhöfe). Erwähnenswert ist auch die Nutzung von KI zur Eingruppierung und Klassifizierung von Abfällen zur Analyse von beispielsweise Fehlwürfen oder dem Anteil bestimmter Abfallfraktionen. Hierfür sind bereits die ersten Tests angelaufen. Auch der Einsatz von KI zur Bilderkennung, etwa um Straßenschäden, defekte oder beschmierte Straßenschilder zu analysieren, ist in Planung.
Die Hauptstadt hat sich zu einem wichtigen Zentrum für Innovation und Technologie in Europa entwickelt. Wie sehen Sie die Rolle Berlins und speziell der Berlin Recycling GmbH in diesem Kontext und welche Chancen ergeben sich dadurch für die Zukunft?
Wir sehen hier ein großes Potential für das Land Berlin und für Berlin Recycling, was uns allen hilft, ist uns mehr zu vernetzen und gemeinsam voneinander zu lernen. Gerade bei Themen wie Innovation und KI ist es wichtig, gemeinsam Use-Cases zu generieren und die Ergebnisse miteinander zu teilen. Nicht jeder Mittelständler wird sich seinen eigenen KI- und Innovationsbereich aufbauen können, um so wichtiger sind und werden Netzwerke.
Abschließend, was würden Sie auf der Basis Ihrer Erfahrungen anderen Unternehmen empfehlen, die überlegen, KI in ihren Prozessen einzusetzen? Gibt es spezielle Lektionen oder Erkenntnisse, die Sie teilen möchten?
Wichtig ist vor allem, alle betroffenen Mitarbeiter frühzeitig zu informieren und mitzunehmen, die eventuellen Ängste aufzunehmen und auszuräumen. Kommunikation ist hier das A und O. Uns hat dabei besonders geholfen, den Betriebsrat in alle Entscheidungen bezüglich der Projekte einzubinden. So hatten wir von vornherein ein transparentes und auf Augenhöhe gestelltes Verhältnis.
Weiter ist es wichtig, gute Partner zu finden, die sich zum einen in der Thematik der KI auskennen und es zum anderen schaffen, Laien zu veranschaulichen. Auch die gemeinsam mit den Partnern vorgenommene Projektierung mit kleinen Arbeitspaketen ist enorm wichtig für den Erfolg. Zusätzlich sind interne Mitstreiter wichtig, da nur so ein gemeinsamer Weg gegangen werden kann.
Vielen Dank, Bianka Rieder, für Ihre Zeit.