Mann lacht in die Kamera

28 April 2021

„Global haben wir im Bereich KI die Chance, uns mit an die Weltspitze zu setzen.“

Wer heute auf beruflicher oder auch privater Ebene zweisprachig unterwegs ist – und das sind viele – der weiß, dass eine professionelle Übersetzung nicht mal eben aus dem Ärmel geschüttelt ist. Sie erfordert Zeit und vor allem Kompetenz. Neben gängigen Übersetzungstools kann aber vor allem mit Hilfe Künstlicher Intelligenz ein einwandfreies Resultat erzielt werden. Ein solches Tool haben Christopher Kränzler und seine Co-Gründer mit Lengoo entwickelt: Die Software des Unternehmens wird mit Hilfe von Maschinellem Lernen trainiert, um so vor allem sehr fachspezifische Texte übersetzen zu können.

Wir sprachen mit CEO Christopher Kränzler über die Attraktivität Berlins, welche Vorzüge der Einsatz von KI bei Übersetzungen bringt und warum wir trotzdem auf jeden Fall die Begeisterung für‘s Sprachenlernen behalten sollten.

Hallo Herr Kränzler. Sie sind in Bayern geboren und sind dann nach Stationen, unter anderem in Karlsruhe, Frankfurt und New York, in unserem schönen Berlin gelandet. Was gefällt Ihnen an Berlin so gut?

Berlin ist ein idealer Nährboden für die innovativen Ideen junger Unternehmen und zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Das ist für uns als schnell wachsendes Technologieunternehmen einer der großen Standortvorteile. Fachkräfte sind rar und wir brauchen gerade extrem viele Data Scientists und Machine Learning Engineers, um unsere Übersetzungstechnologie weiterzuentwickeln.

In Karlsruhe haben Sie dann 2014 Lengoo mitgegründet. Ihr Unternehmen stellt eine Software her, die durch ausgefeilte Trainings mit Hilfe von Maschinellem Lernen sehr fachspezifische Übersetzungen herstellen kann. Wie genau trainieren Sie Ihre KI?

Das Besondere an unserem Trainingskonzept ist der hohe Spezialisierungsgrad. Wir trainieren die Sprachmodelle für die neuronale Maschinenübersetzung mit den früheren Übersetzungsdaten unserer Kunden. Auf diese Weise individualisieren wir die KI-Systeme und passen sie an die sprachlichen Feinheiten, die bevorzugte Terminologie, den Stil und die Tonalität sowie den Verwendungszweck, an. Der maschinelle Output erreicht durch diese Spezialisierung ein so hohes Qualitätsniveau, dass Fachübersetzer damit drei- bis sechsmal schneller arbeiten können. Dadurch reduzieren wir – im Vergleich zu traditionellen Übersetzungsanbietern – die Kosten für eine Fachübersetzung um die Hälfte. Das spart dem Kunden im Schnitt ein jährliches Budget im mittleren sechsstelligen Bereich. Dieser Effekt verstärkt sich laufend, weil die Maschine mit den finalen Korrekturen des Menschen weiterlernt.

Inwiefern hebt sich Ihre Software durch den Einsatz von KI von herkömmlichen Übersetzungsdiensten ab?

Der Einsatz von KI macht uns erstens schneller und zweitens sorgen wir dafür, dass die Sprache des Kunden in jeder Übersetzung einheitlich bleibt. Das können traditionelle Anbieter einfach nicht bieten. Für einen Kunden arbeiten dort in der Regel mehrere Übersetzer und weil Menschen verschieden sind, unterscheiden sich am Ende auch die Resultate. Für jedes Wort in der Ausgangssprache stehen nun einmal verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten zur Auswahl. Unsere Technologie lernt die individuelle Unternehmenssprache und gewährleistet so eine durchgängige Konsistenz in den übersetzten Texten.

An welcher Stelle wird die Unterstützung von Menschen noch benötigt? Übersetzt die KI schon alles alleine oder arbeiten Mensch und KI Hand in Hand?

Neuronale Maschinenübersetzung, wie wir sie anwenden, liefert Übersetzungen auf fast menschlichem Niveau. Um abzusichern, dass der maschinelle Output zu 100 Prozent korrekt ist, brauchen wir in dem Prozess den Menschen. Unsere Fachübersetzer sind Qualitätsprüfer und gleichzeitig auch Maschinenlehrer. Nur, wenn sie mit unserem KI-System interagieren, können die neuronalen Netze weiterlernen und sich verbessern. Ich würde sagen, dass sich Mensch und Maschine in unserem Übersetzungsprozess optimal ergänzen. Wie schon erwähnt, kann die Technologie für eine hohe Konsistenz sorgen. Der Mensch erkennt feine sprachliche Nuancen und stellt sicher, dass sie in der Zielsprache korrekt ankommen. Dafür wird es immer Sprachexperten brauchen, die die Ausgangs- und Zielsprache sehr gut beherrschen und sich thematisch in dem jeweiligen Fachbereich auskennen.

Müssen wir in Zukunft noch Sprachen lernen, wenn uns eine KI eigentlich alles immer direkt übersetzen kann?

Klar, wird es uns Technologie in Zukunft erleichtern, in anderen Sprachen zu kommunizieren. Aber Maschinenübersetzung wird nicht das Sprachverständnis ersetzen. Der Taschenrechner nimmt uns ja auch nicht das logische und abstrakte Denken ab. Ich glaube deshalb, dass es mit zunehmender Technologisierung der Kommunikation sogar noch wichtiger wird, das Bewusstsein für die Vielschichtigkeit von Sprachen zu schärfen und interkulturelle Kompetenzen zu erwerben.

In einer Finanzierungsrunde haben Sie jüngst 20 Millionen Dollar eingesammelt, herzlichen Glückwunsch dazu! Was für Pläne haben Sie damit für die nächste Zeit?

Vielen Dank! Wir wollen das zusätzliche Kapital nutzen, um eine globale Präsenz für unsere global agierenden Kunden aufzubauen. Außerdem werden wir die Entwicklung unseres eigenen NMT-Frameworks vorantreiben, um professionelle Übersetzungen noch schneller und skalierbarer zu machen.

Berlin ist deutschlandweit der Spitzenreiter in Gründungen von KI-Start-ups und Entwicklungen im Bereich Machine Learning. Was wünschen Sie sich noch für die Zukunft? Wo können wir uns von den USA, China oder anderen noch ein Scheibchen abschneiden?

Jetzt geht es meiner Meinung nach darum, dass diese Entwicklungen im Bereich Machine Learning ihren Weg in die Anwendung finden. Wenn wir es zum Beispiel schaffen, dass KI auch in den deutschen mittelständischen Unternehmen ankommt, wäre viel gewonnen. Global betrachtet haben wir im Bereich KI noch die Chance, uns als Europäer mit an die Weltspitze zu setzen. Das erreichen wir nur mit einer positiven Haltung gegenüber der Technologie und in der Hinsicht könnten wir ein bisschen vom Enthusiasmus in den USA und in China übernehmen. Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland und Europa öfter über die Vorteile von Künstlicher Intelligenz sprechen und so Berührungsängste abbauen.