Covid-19 hat so manches ausgebremst. Das weltweite Datenwachstum gehört nicht dazu. Wurden 2019 global 45 Zettabyte an Daten erstellt, erfasst, kopiert und konsumiert, werden es in diesem Jahr mehr als 59 ZByte sein. Das ergab die Berechnung des IT-Marktbeobachters IDC. Bis zum Jahr 2025 ist ein Anstieg auf 175 ZByte zu erwarten. Das entspricht einer durchschnittlichen Steigerung von jährlich knapp über 27 Prozent. „Die in den nächsten drei Jahren erzeugte Datenmenge wird größer sein, als die der letzten 30 Jahre“, prophezeit Erik Schmalen, Senior Conference Manager bei IDC Central Europe, gegenüber speicherguide.de. Nicht nur die Menge der Daten im Allgemeinen und personenbezogene Daten, wie Standortdaten im Besonderen, wächst. Auch die Anzahl der Quellen steigt: Vom Smartphone bis zu Seiten wie Google, Facebook oder Amazon, von der Bankkarte über Haushaltsgeräte bis hin zu GPS-Tracking-Instrumenten im Auto – sie alle speichern, sammeln und verknüpfen Daten. Dazu kommen immer mehr Satelliten und Drohnen, die Standortdaten im öffentlichen Raum und vom All aus generieren.
„Drowning in data, thirsting for knowledge“
Mit steigender Datenmenge geht aber nicht automatisch ein Wissensgewinn einher. Schließlich reicht es nicht aus, die Daten einfach nur zu haben. Erst durch ihre Aufbereitung, Vernetzung und Analyse können wertvolle Informationen gewonnen werden. „Doch wie Big-Data-Guru Bernard Marr sagt, weniger als 0,5 Prozent aller Daten werden analysiert, und die Zahl nimmt ab“, schreibt Gründer und CEO Kurt Janssen auf der Website seines Start-ups Orbica, „sie wächst nicht – sie schrumpft!“ Trotz der vielen Daten gebe es vergleichsweise geringes Wissen. Damit wollte sich der Neuseeländer nicht zufriedengeben. „Ich bin Geograf von Beruf und nachdem ich einige Jahre in Neuseeland und den USA gearbeitet habe, war ich überzeugt, dass wir gerade in der Welt der Geodaten bessere Möglichkeiten haben“, erklärt der Experte, der 2016 als „Young Professional of the Year“ bei den „New Zealand Spatial Excellence Awards (NZSEA)“ ausgezeichnet wurde, „für mich ging es nie um die Technologie, die Instrumente. Es geht um die Daten und wie wir diese bestmöglich wertschöpfen können.“ Da er in den traditionellen Unternehmen keine Ansätze dazu sah, gründete der Kiwi im Februar 2017 in der Stadt Christchurch das Unternehmen Orbica (vom lateinischen Orb – die Erdkugel, das Gestirn; Orbit – Umlaufbahn).
Orbica CEO Kurt Janssen © Orbica Ltd.
Demokratie für das 21. Jahrhundert
Neben klassischer Felddatenerfassung, Geodatenanalyse und -entwicklung haben sich Janssen und sein Team, das in weniger als vier Jahren auf 26 „Orbicans" angewachsen ist, vor allem mit Datenvisualisierungslösungen einen Namen gemacht. „Um festzustellen, ob Daten einen Wert haben, musst du sie zuerst verstehen“, betont der Gründer, „und um sie zu verstehen, musst du sie so visualisieren, dass sie der Mensch zuordnen kann.“ Wenn etwa die Steuerzahler in der Region Canterbury auf der neuseeländischen Südinsel wissen möchten, welche Umweltschutzprojekte die zuständige Regionalverwaltung mit ihren Geldern finanziert, können sie sich durch komplexe Tabellen oder 300-seitige PDFs wühlen. Oder sie klicken auf eine von Orbica entwickelte Website. Dort können sie interaktiv und auf einen Blick den Fortschritt der Projekte anhand von farbigen Blasen nachverfolgen. „OrbViz“, so der Name des dynamischen Software-as-a-Service-Tools, kann auch anderen Organisationen und Unternehmen helfen, komplizierte Daten wie die Verbreitung von Covid-19, Treibhausgasemissionen sowie Budgetverteilungen leicht verständlich darzustellen. „Es geht um Transparenz, Verständnis und bessere, fundiertere Entscheidungen“, erklärt Kurt Janssen. „Unser SaaS-Produkt OrbViz ist Demokratie für das 21. Jahrhundert.“
Mit Geo-AI zu den Standortdaten
Am Puls der Zeit ist Orbica auch auf dem Trendgebiet Geo-AI. Schnell hatten Janssen und seine Mitarbeitenden erkannt, dass die Analyse der Milliarden Standortdaten und Aufnahmen von Satelliten, Drohnen und Luftbildern mit den aktuellen, manuellen Methoden unmöglich war. Geschweige denn, daraus wertvolle Informationen in Echtzeit zu gewinnen. Der Prozess musste optimiert werden. „Wie können wir ihn von Tagen, Wochen und Monaten auf Sekunden, Minuten und Stunden verkürzen?“, so lautete die Grundsatzfrage. Zehn Monate später hatte das Team einen Algorithmus entwickelt, der mit über 90-prozentiger Genauigkeit Gebäude, Straßen, Bäume und Gewässer erkennen konnte – und das in wenigen Minuten auf Knopfdruck. Mit Hilfe von Deep Learning destillierte der Algorithmus die relevanten Informationen aus großen Datenmengen. Das neuronale Netzwerk legt die verschiedenen Varianten der Subjekte in einer Wissensdatenbank ab. Sobald die Daten vom Algorithmus bearbeitet sind, werden sie in einem geografischen Informationssystem verfeinert und zurück an die KI gespielt, die so mit jedem Datenset ihre Genauigkeit verbessert. „Gebäude, Bäume, Straßen und Wasser sind erst der Anfang: Unsere Algorithmen können dahingehend trainiert werden, jedes Element der Erdoberfläche zu erkennen und zu klassifizieren. Die Möglichkeiten sind endlos“, heißt es auf der Website von Orbica, das für diese Innovation bei den NZSEA 2018 die Kategorien Technical Excellence sowie Export and Innovation für sich gewinnen konnte und von Deloitte zu einem der „Fast 50 Rising Star (One to Watch)“ gekürt wurde.
Für Thyssenkrupp von Neuseeland nach Berlin
Endlos sind auch die Möglichkeiten, in welchen Bereichen Geo-AI eingesetzt werden kann und sowohl Zeit als auch Kosten spart: Ob zur Überwachung der Landnutzung, im Umweltschutz, beim Disaster-Management oder um die Ressourcenkette zu kontrollieren. Oder auch, um den Baufortschritt an Industrieanlagen automatisch festzuhalten. Diese Idee konnte im Frühjahr 2018 den Dax-Konzern Thyssenkrupp von einer Zusammenarbeit mit Orbica überzeugen. In einem siebenminütigen Pitch im Rahmen der Innovationsplattform „Beyond Conventions“, für die Kurt Janssen extra vom anderen Ende der Welt eingeflogen war, konnten die Neuseeländer über 200 Mitbewerber ausstechen. Statt wie bisher die Baustellen persönlich zu besuchen und kontrollieren zu müssen, gibt es jetzt – dank Orbica – eine effizientere Lösung: „Wir fliegen eine Drohne über die Baustelle und machen damit Aufnahmen. Diese kombinieren wir mit unseren 3D-Modellierungstechniken und Künstlicher Intelligenz und können in weiterer Folge die Fortschritte der Gebäude sehr genau dokumentieren“, erklärt Orbican Peter Rose den Prozess.
Premierministerin Jacinda Ardern und Orbica Managing Director Peter Rose © Orbica Ltd.
„Berlin ist perfekt in Europa“
Das erste Pilotprojekt ein paar Wochen später war nicht nur der Startschuss für die Zusammenarbeit zwischen Orbica und ThyssenKrupp. „Wir hatten unseren ersten Kunden und mussten innerhalb von einer Woche die deutsche Firma gründen“, erzählt Rose, Managing Director von Orbica Europe in Berlin. Das kam nicht ganz ungeplant. „Wir wollten eine internationale Stadt mit solider Tech-Landschaft und eine, die Talent anzieht“, so Rose, der Janssen vor zehn Jahren als Kollege kennengelernt hat und in Kontakt geblieben ist. „Berlin ist perfekt dafür in Europa!“ Zwar wäre der Prozess der Firmengründung in Deutschland aufgrund der Bürokratie komplexer, als in Neuseeland, wie die beiden Kiwis am eigenen Leib erfahren haben. „Doch es gibt wirklich hilfreiche Regierungsorganisationen wie Berlin Partner und GTAI, die uns unterstützt haben“, lobt Rose, der 2012 mit seiner Frau nach Deutschland gezogen ist, „dazu kommt eine riesige Start-up-Community.“ Dass sich darunter auch ein Talente-Pool an Tech-Experten befindet, kam der Firma bei der Findung passender Berliner Orbicans zu Gute. Wurde in den Anfängen noch auf die Technik-Experten in Neuseeland zurückgegriffen, gibt es mittlerweile ein Team in Berlin, das Projekte lokal abwickelt oder sich mit den Kollegen in Neuseeland austauscht. „Das ist großartig, weil unsere Mitarbeitenden viel von einander lernen und wir sehr schnell Lösungen entwickeln können. Dabei nutzen wir die unterschiedlichen Zeitzonen zu unserem Vorteil“, meint der gebürtige Neuseeländer. Während in Deutschland vor allem große Unternehmen wie Thyssenkrupp, aber auch BASF und ein multinationales Fertigungskonglomerat zu den Kunden zählen, bedient Orbica in Neuseeland eine Mischung sowohl aus Unternehmen als auch Organisationen und Behörden. Noch machen Letztere 80 Prozent des Kundenstamms aus, doch Europa ist auf der Überholspur: „Das Berliner Team hat im vergangenen Jahr ein 4-faches Wachstum erlebt. Wir erwarten, dass das in der nächsten Zukunft so weitergeht“, ist Managing Director Rose optimistisch und berichtet von „spannenden Entwicklungen in der Pipeline". Trotz – oder vielleicht sogar dank – Covid-19. Zwar hätten die Lockdowns in Deutschland die Mobilität eingeschränkt, andererseits aber sei die Nachfrage nach Transparenz und Sichtbarkeit durch die Pandemie gestiegen. „Hier sind Lösungen wie Geo-AI und location intelligence solutions besonders wertvoll, um datengesteuerte Entscheidungsunterstützung zu bieten“, betont der Wahl-Berliner.
Expansion: Australien statt USA
Noch sind diese nur dem europäischen und neuseeländischen Markt vorbehalten. Der US-Markt-Eintritt mit dem SaaS-Produkt OrbViz, der für Ende 2020 geplant war, wurde aufgrund von Reisebeschränkungen und Unsicherheiten verschoben. „Covid hat uns ein Jahr geschenkt, in dem wir uns konsolidieren und auf die Expansion vorbereiten dürfen“, sieht Kurt Janssen die Situation entspannt. „Wir planen aktiv, Anfang 2021 auf dem australischen Markt zu sein“, fügt er hinzu, „auch, wenn es sich nicht um eine physische Präsenz handelt. Wir führen noch Marktforschungen durch und festigen unseren Ansatz, aber es ist aufregend.“