Prof. Dr.-Ing. Jens Lambrecht, Thomas Staufenbiel, Dr. Eugen Funk © Gestalt Robotics

04 Oktober 2019

"Die industrielle Anwendung von KI-Methoden scheitert in der Praxis oft an dem Punkt des “Datenhungers”.

Das Geschäftsmodell von Gestalt Robotics basiert auf der projektbasierten Entwicklung von Robotik-Software, mit dem Fokus auf Wahrnehmung, Kognition und Interaktion. Diese Ausrichtung macht es erforderlich, auf Methoden und Werkzeuge aus hoch technologisierten Bereichen zurückzugreifen. Bereits seid 2016 entwicklet das Berliner Unternehmen mit den drei Gründern Jens Lambrecht, Eugen Funk, Thomas Staufenbiel maßgeschneiderte Software für Industrie- und Serviceroboter. Gestalt Robotics bedient sich dem stetig wachsenden Bedarf an Automatisierungslösungen von Konzernen aus verschiedensten Industriezweigen. Auch für den Bereich Handel und E-Commerce, wie Logistik- Kommisionier und Lagerarbeiten, kommt die Robotik-Software in Frage. ki-berlin hat Dr.-Ing. Jens Lambrecht zum Interview getroffen.

Was macht Ihrer Meinung nach die Stärke Berlins als KI-Standort aus?

Berlin ist ein entscheidender Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort mitten im Herzen Europas, mit exzellenten Universitäten und KI-Forschung sowie einer Innovationskraft, die mittlerweile auch den Bereich KI umfasst.  Speziell im Bereich autonomer Mobilität und Robotik entwickelt sich Berlin immer mehr zu dem Zentrum in Deutschland. Als ich vor 10 Jahren in die Stadt zog sah die Lage noch anders aus: damals rechnete ich fest damit, nach meiner Promotion in der Robotik auf der Suche nach einem entsprechenden Arbeitsplatz, Berlin verlassen zu müssen. Heute ist das komplett anders: Berlin entwickelt sich aktuell zu einem großen KI- und Robotikstandort mit aktivem Ökosystem und ich bin sehr stolz darauf, diesen mit gestalten zu können. Die Gestalt Robotics versucht dies auch aktiv zu unterstützen, bspw. mit Meetups oder unserer Podcast-Serie „Berlin Robotics“.

Was unterscheidet Berlin von anderen Standorten?

Ich sehe Berlin nicht nur in der Politik, sondern auch im Bereich der Innovation als Pulsgeber für technische Entwicklungen. Nahezu jede große Firma aus dem technischen Bereich schaut auf die Technologie- und Startupszene in Berlin oder ist hier bereits über eine reine Repräsentanz hinaus aktiv.  

Und auch wenn sich die Wirtschaftsregion um Berlin herum stark von weiten Teilen des südlichen Deutschlands unterscheidet, ist Berlin Weltstadt mit einem Innovationscharakter, den man im Rest Deutschlands vergeblich sucht. Dazu kommt ein Zuzug bestens ausgebildeter internationaler Spezialisten sowie gut ausgebildete Fachkräfte aus den Berliner Universität und Fachhochschulen. Weiterführend weiß Berlin junge Fachkräfte auch aufgrund der einmaligen Atmosphäre in der Stadt über die Ausbildung hinaus zu binden. Die Aktivitäten der Berliner Universitäten und Fachhochschulen zur Unterstützung junger Gründer sind so vielfältig wie einmalig. Auch die lokale Wirtschafts- und Technologieförderung ermöglicht beste Voraussetzungen für international konkurrenzfähige Innovationen im Deep-Tech-Bereich. 

Wie kamen Sie auf die Idee, (Ihr Unternehmen) zu gründen / (Ihre Initiative) zu starten? Warum in Berlin?

Die Gestalt Robotics ist nicht als typisches Startup geboren. Anstatt mit einer Idee oder einem Prototypen zu starten und sich auf die Suche nach Finanzierung zu begeben, konnten wir direkt mit ersten bezahlten Kundenprojekten durchstarten. Im Jahr 2016 ergab sich die glückliche Fügung, dass mein Mitgründer Thomas, vormals bei Airbus in München tätig, nach Berlin zog. Mit unserem gemeinsamen Freund Eugen, der gerade beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin Adlershof zum Thema 3D Bildverarbeitung promoviert hatte, war die Gestalt Robotics gegründet.  

Ursprünglich verfolgten wir nur das Ziel, erste Anfragen für Softwareentwicklung im Bereich Automatisierung und KI durchführen zu können. Mit den vereinten Kompetenzen im Bereich Automatisierung, autonome Mobilität, Softwareentwicklung und KI wuchsen dann allerdings unser Team, der Kundenkreis und der Projektumfang rasch. Auf Basis von Arbeitserfahrungen in größeren Konzernen versuchen wir bei der Gestalt Robotics ein Gegenstück zu bilden und unseren ersten Mitarbeitern Raum für eigene Ideen und Innovationen zu geben. Diese Philosophie behalten wir uns auch immer noch bei, mittlerweile mit mehr als 15 Beschäftigten und immer noch vollkommen selbstfinanziert und unabhängig. Begonnen haben wir mit einem kleinen Büro an der TU Berlin und aktuell steht aus Wachstumsgründen der Umzug in das insgesamt dritte Büro kurz bevor. 

Was ist das Besondere an Ihrem Unternehmen?

Die Gestalt Robotics versteht sich als Innovationsdienstleister für zukunftsweisende Lösungen an der Schnittstelle von klassischer industrieller Automatisierungstechnik und KI. Wir kombinieren somit das industrielle Branchen-Know-How mit starken Kompetenzen und Integrationserfahrungen im Bereich KI, hier vor allem Machine Learning. Seit unserer Gründung arbeiten wir mit unseren Kunden partnerschaftlich an der Lösung realer industrieller Herausforderungen mit konkretem Mehrwert für den Kunden. Entsprechend sind wir Spezialisten für den industriellen Einsatz von KI, inkl. Integration und Zertifizierung vom einzelnen Softwareservice bis hin zu komplexen Lösungen und Anlagen. 

Das Fundament für die passgenaue Umsetzung von flexiblen KI-Anwendugen stellt das nahtlose Zusammenspiel unserer Technologien aus den Bereichen der Steuerung, Bilderanbetung, Nutzerinterkation und KI dar. Mithilfe unseres Baukastensystems und Querschnittstechnologien kombinieren und vernetzen wir diese passgenau. Dabei arbeiten wir mit Partnern im Bereich Kommunikation zusammen und setzen KI -Anwendungen auch auf Basis von 4G und 5G Mobilfunknetzen sowie Cloud- und Edge-Computing um.

In welchem Bereich liegt Ihre Fokussierung?

Mit unseren Technologien fokussieren wir uns auf zwei große Anwendungsbereiche: Produktionsautomatisierung und autonome Mobilität. Die Lösungen in diesen Anwendungsbereichen umfassen KI-gestützte Bildverarbeitung, intelligente Roboteranwendungen, adaptive Assistenzsysteme und eine Plattform-Services für autonome Mobilität.

Das erscheint erstmal als weites Feld, zu Grunde liegt jedoch eine einheitliche Technologieplattform, sodass wir mit unseren Technologiemodulen nach dem Baukastensystem skalierbare Lösungen auch für individuelle Anforderungen bereitstellen können. 

Technologisch hervorheben möchte ich einerseits aktuelle Entwicklungen zu Software-Services für die Ermöglichung autonome Indoor- und Outdoor-Navigation über 4G/5G Netzwerke und Edge-Computing. Die entsprechende Lösung zur Steuerung mobiler Transportsysteme wurde in mehreren gemeinsamen Projekten zusammen mit der Deutschen Telekom entwickelt und befindet sich aktuell schon im Produktivbetrieb beim industriellen Anwender. 

Ein weiterer Bereich, den ich hervorheben möchte, ist die Daten-effiziente Anwendung von modernen KI-Methoden. Allen Vorteilen von modernen Machine-Learning-Methoden steht vor allem bei industriellen Anwendungen der Bedarf an großen Datenmengen für das Training robuster und genauer Algorithmen gegenüber. Unsere Erfahrung zeigt, dass die industrielle Anwendung von KI-Methoden in der Praxis oft genau an dem Punkt des “Datenhungers” scheitert. Sei es, dass die Datenaufnahme und das dazugehörige Engineering mit Aufwand und Kosten verbunden sind oder dass eine Bereitstellung der Daten, bspw. bei visueller Erkennung seltener Fehler, nicht möglich ist. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns verstärkt mit Methoden und Technologien, die es uns auch bei geringen Datenmengen ermöglichen, KI-Verfahren effektiv und zuverlässig im industriellen Umfeld einzusetzen.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Viele unser Mitarbeiter kommen aus dem Bereich der angewandten Forschung. Ob mit Doktorgrad oder ohne, was unser Team verbindet ist der Durst nach Wissen und die ständige Weiterbildung und Weiterentwicklung. Wir ermutigen unsere Mitarbeiter einen Teil ihrer Arbeitszeit in eigene interne Forschungsprojekte zu stecken. Aus einigen dieser internen Projekte sind mittlerweile Produktprototypen geworden. einem entsprechenden internen Projekt entstammt bspw. auch unsere EPIC-Technologie, für die wir kürzlich den Berliner Deep Tech Award erhalten haben. Dabei handelt es sich um eine spezielle Few-Shot-Learning-Methode, die es ermöglicht, moderne KI Methoden sehr Daten-effizient einzusetzen und mithilfe nur weniger Beispiele anzutrainieren.

Welche Bedeutung hat Ihr Unternehmen/ProgrammEvent/lhre Initiative für die KI-Branche in Berlin?

Mittlerweile sehen wir uns als Vertreter der KI-Branche in Berlin schon fast als „alter Hase“. Wir beobachten das Wachstum der KI-Szene in Berlin mit großem Wohlwollen und freuen uns über die Entwicklung eines größeren Ökosystem. Im Rahmen des KI-Hypes sehen wir allerdings auch zunehmend Risiken für das Thema, durch eine gewisse Oberflächlichkeit ohne technisches Hintergrundwissen oder medial befeuerte Erwartungen. Dementsprechend bin ich sehr kritisch gegenüber überzogenen Erwartungen an KI bzw. gegenüber Leuten, die diese bewusst fördern.

Welche Empfehlung haben Sie für Menschen/Unternehmen, die sich mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz beschäftigen wollen?

Meine persönliche Überzeugung bezüglich Erfolges für technische Innovationen beruht ganz konservativ auf einer guten Mischung aus theoretischem Background-Wissen und praktischer Erfahrung. Darüber gilt es immer skeptisch zu sein, sobald ein Hype entsteht.  Das Thema KI ist in dem Sinne immer ein komplexes Thema und wird es bleiben, vorsichtig wäre ich bei überzogenen Versprechen, die KI wie „Zauberei“ aussehen lassen.

Ansonsten gilt es realer Probleme und Herausforderungen als Ansatzpunkte für KI zu identifizieren anstatt KI um der selbst Willen zu nutzen. Wenn das der Fall spricht nicht mehr viel gegen “einfach mal ausprobieren” und der Weg ist da mit verlässlichen Partnern an zukunftsweisenden Lösungen zu arbeiten.

Welche Herausforderungen verbergen sich hinter Künstlicher Intelligenz?

Ich bin selber kein großer Fan des Begriffs „Künstliche Intelligenz“, dahinter versteckt ist ein zu großes Portfolio an verschiedenen Technologien und Methoden. Wir sehen immer wieder Herausforderungen darin, das Thema KI zu de-mystifizieren und überzogene Erwartungen zu dämpfen. Neben allen technischen Fortschritten in den letzten Jahren ist das Bild von KI in der breiten Gesellschaft geprägt durch Fiktion und reißerischen Journalismus. Das zieht sich durchaus auch durch das mittlere und obere Management größerer Firmen. Eine Antwort darauf kann nur das Sammeln “echter” Erfahrungen und eine gute technische (Weiter-)Bildung sein. 

Ferner darf KI kein Selbstzweck sein, sondern muss einen realen wirtschaftlichen, ökologischen oder sozialen Mehrwert im industriellen Einsatz bringen. Für die Gestalt Robotics gilt es dieses konkrete Potential gemeinsam mit unseren Kunden auf kooperativer Ebene zu identifizieren und gezielt mit passgenauen technischen Lösungen zu heben.

Vielen Dank für das Gespräch.