© Fraugster

26 August 2019

Clevere KI hilft Online-Shops im Kampf gegen Betrüger.

Betrüger zählen zu den größten Feinden von Online-Händlern. Im Berliner Startup Fraugster haben diese einen cleveren Verbündeten gefunden. Dessen Waffen: eine innovative Technologie, selbstlernende Algorithmen und das Potenzial, Geschichte(n) zu schreiben.

Z. B. ein Israeli, der mit einer deutschen Kreditkarte ein Zusatzgepäck bucht. Und das für einen Flug am nächsten Tag. Für E-Commerce-Händler läuten hier sämtliche Alarmglocken. Die Transaktion wird blockiert. Verständlicherweise, hat das 3-D-Secure-Verfahren der Karte doch mit den unterschiedlichen Nationalitäten und der Kurzfristigkeit des Kaufs gleich zwei verdächtige Indikatoren entdeckt. Doch so nachvollziehbar das Geschehen ist, so fehlerhaft erweist es sich in der Praxis. Chen Zamir weiß das aus eigener Erfahrung, hat er doch das beschriebene Beispiel am eigenen Leib erfahren. „Ich musste dann mit der israelischen Kreditkarte meiner Mutter zahlen“, schmunzelt er im Nachhinein und fügt hinzu: „Manchmal gibt es bei einem Online-Kauf zehn verdächtige und nur einen legitimen Indikator, und dennoch kann die Transaktion echt sein. Mit den Hinweisen allein fängt man wenig an. Die Geschichte drum herum macht den Unterschied.“

Betrachtet man Zamirs Fall sind zwar ein israelischer Pass – kombiniert mit deutscher Kreditkarte – auf den ersten Blick verdächtig. Auf den zweiten hingegen hat das Ganze Sinn: Ein Israeli, der aus seinem Heimatland ein Zusatzgepäck für einen Flug in die Bundesrepublik mit deutscher Kreditkarte bucht – klingt glaubwürdig, oder? Bis zu dieser Erkenntnis kommt das traditionelle 3-D-Secure-Verfahren allerdings nicht. Es hat die Transaktion vorsorglich blockiert.

Chen Zamir, Gründer Fraugster © Fraugster

Betrug ist teuer – Angst ist teurer

Die Geschichte ist kein Sonderfall, im Gegenteil: Zwar verlieren E-Commerce-Händler pro Jahr 1,5 Prozent ihrer Umsätze und damit 52 Milliarden US-Dollar durch betrügerische Handlungen. Doch auch, wenn kriminelle Handlungen damit doppelt so stark zunehmen wie der gesamte E-Commerce-Markt an sich, ist das nicht das größte Problem der Online-Händler: Noch teurer, als der Betrug selbst, ist die Angst davor. „Die meisten Unternehmen werden Opfer von Betrugsattacken und verlieren in einem Zug einige Monate ihres Umsatzes“, weiß Chen Zamir, der fünf Jahre bei Paypal im Risikomanagement tätig war und davor im Geheimdienst der Israelischen Armee gedient hat, denn „sie tun alles dafür, dass das nicht mehr passiert. Egal, wie viel es kostet. Egal, wie genau die Methode ist. Das Einfachste ist, auf Nummer sicher zu gehen.“ Dass sie dabei oft zu überholten Anti-Betrugs-Systemen greifen, ist für ihn kaum überraschend. Schließlich wäre es selbst für Experten schwierig, mit der neuesten Technologie Schritt zu halten – und mit kriminellen Elementen erst recht. Eben das aber, versuchen herkömmliche Anti-Betrugs-Technologien: Um Betrüger zu erkennen, arbeiten sie mit regelbasierten Algorithmen, die ungewöhnliches, aber legitimes Verhalten, wie das von Zamir, nicht ausreichend erklären. Darüber hinaus verursachen diese Technologien häufig Reibungsverluste beim Kassenvorgang und führen zur Aufgabe des Einkaufswagens. Diese Rückgänge und sogenannten "falsch positiven Rückgänge", das heißt das falsche Blockieren von echten Kunden, können Händler zwischen 5:1 und 30:1 für jeden betrügerischen Dollar kosten.

AI schreibt millisekundenschnell Geschichte

Woran herkömmliche Anti-Betrugs-Systeme scheitern, darauf hat sich das Berliner Startup  „Fraugster“ spezialisiert. „Uns war von Anfang an klar, dass wir nicht mit einem Algorithmus starten , erklärt Chen Zamir, der das Unternehmen 2014 mit seinem deutschen Partner Max Laemmle gegründet hat. Statt riesige Datenmengen zu sammeln, damit die Maschine zu trainieren und ein Modell zu entwickeln, haben sie eine selbst lernende Künstliche Intelligenz entwickelt. „Wir trainieren kein Modell, wir haben kein Modell. Wir wollten einen einerseits massiven und andererseits schnellen Algorithmus bauen, der sich in Echtzeit die ständig hereinkommenden Daten ansieht“, erklärt der Israeli mit Wahlheimat Berlin, „schließlich ist Betrug auch eine schnelle Entwicklung. Die dauert nicht sechs Monate, sondern passiert über Nacht.“ Schnell ist auch die Fraugster-Technologie. In sage und schreibe 15 Millisekunden erkennt die Künstliche Intelligenz betrügerische Transaktionen. Wie, das bringt Max Laemmle gegenüber Forbes DACH auf den Punkt: „Unsere Engine sammelt Datenpunkte – und erzählt dann eine Geschichte.“

Individuelles Lückenschließen

Genau das ist das Besondere der Technologie: Fraugster betrachtet nicht nur die Indikatoren, sondern reichert die Transaktionen mit Daten an, um die Lücken zu schließen. Fall für Fall. „Normalerweise hat eine Transaktion zwischen 20 und 60 Datenpunkten“, erklärt Laemmle, der zuvor bei den Bezahldiensten Sum Up und Better Payment gearbeitet hat, „dazu zählen etwa Name, Wohn- und Rechnungs- sowie IP-Adresse und so weiter. Doch wir wollen wissen, wie das Verhalten des Kunden zum genauen Zeitpunkt der Transaktion aussieht. Daher reichern wir jede Transaktion mit rund 2.500 Datenpunkten an.“ Mit dieser einzigartigen Innovation gelingt es dem 60-köpfigen internationalen Team rund um die beiden Gründer nicht nur in Sachen Schnelligkeit den Branchenschnitt zu toppen, auch bei der Genauigkeit kann derzeit keiner mit den Berlinern Schritt halten: Händler verlieren mit der Fraugster-Technologie nur zwei US-Dollar auf jeden Betrugsdollar. Geht es nach Chen Zamir, gibt es trotzdem Verbesserungspotenzial: „Wir wollen noch mehr Geschwindigkeit, noch komplexere Daten erkennen und auch noch mehr Genauigkeit. Die Quote von 2:1 ist nicht 1:0”, meint er, „das Schöne an dieser Branche ist, dass immer Bedarf herrscht. Auf Null werden wir betrügerische Handlungen ohnehin nie reduzieren. Wir können nur versuchen, größere, komplexere Probleme zu lösen, um genauer zu werden.“

Sicherheitsnetz plus: Volle Haftung gegen Betrug

Längst ist der Service von Fraugster aber nicht mehr auf reine Anti-Betrugs-Technologie beschränkt. Während die Produkt-Pakete „Flame“ und „Fire“ das klassische Feld der Risikomanagement-Software bedienen und kleinen und mitteleren Unternehmen (KMUs), aber auch größeren Unternehmen, ein zusätzliches Sicherheitsnetz bieten, hat das im Sommer 2017 gestartete „Fraud Free“ einen besonderen Zusatznutzen: Fraugster übernimmt über seinen Partner Munich Re die volle Haftung für jede genehmigte Transaktion und bietet Rückbuchungsschutz, wenn die Technologie eine betrügerische Transaktion als legitim identifiziert. "Derzeit befinden wir uns in der Pilotphase für eine verbesserte Version von FraudFree", fügt Chen Zamir hinzu. "Daran arbeiten wir gerade. Es ist teurer, garantiert aber unseren Kunden eine Umsatzsteigerung."

Die E-Commerce-Händler wird diese Erweiterung des Kerngeschäfts auf andere datengetriebene Services freuen. Schon jetzt wickelt Fraugster pro Jahr laut eigenen Angaben um die 35 Milliarden Dollar Zahlungsvolumen ab. Das bringt dem Startup Geld: Pro Transaktion wird eine Gebühr zwischen 0,01 und 0,3 Prozent genommen. „Die Gebühr hängt immer davon ab, welche Risikokategorie der Händler hat“, meinte Max Laemmle gegenüber Forbes Dach, „der Verkauf von T-Shirts ist weniger risikoreich, denn da benötigt man jemanden, der die gleiche Größe trägt und den gleichen Geschmack hat – und der bereit ist, einen bestimmten Preis zu bezahlen. Consumer Electronics-Produkte (wie etwa iPhones, Anm.) sind daher risikobehafteter, als Mode. Doch auch in der Mode gibt es eine „One-fits-all“-Kategorie, etwa bei Handtaschen.“ Bisher hat Fraugster hauptsächlich Kunden in Europa und arbeitet mit Zahlungsdienstleistern wie dem aus Frankreich stammenden Unternehmen Ingenico sowie dem Schweizer Unternehmen Six Payments zusammen. „Zusätzlich schauen wir uns verstärkt sowohl auf dem US-Markt als auch in Asien um“, sieht Chen Zamir internationales Wachstums-Potenzial, „wir möchten dort mehr regionale Partnerschaften abschließen.“

Rosige Zukunft in Berlin

In schwarzen Zahlen macht sich diese rosige Gegenwart und noch rosigere Zukunft bei Fraugster allerdings nicht bemerkbar. Noch nicht. Doch wichtiger, als Profitabilität, sind laut Co-Gründer Zamir ohnehin „Wachstum und wie du dein Geschäft führst“, meint er diplomatisch. Die Investoren scheinen mit beidem zufrieden zu sein: Von Anfang an musste sich Fraugster um seine Finanzen keine Gedanken machen. Neben dem Risikokapitalgeber Earlybird, den österreichischen Fonds Speedinvest, Seedcamp oder Rancilio Cube beteiligte sich HSB Ventures, eine Tochter der Munich Re, am Startup. Woran das liegt, das kann Chen Zamir nur vermuten: Neben der einzigartigen Technologie und frühen Partnerschaften mit Zahlungsdienstleistern glaubt er, dass das Startup vor allem mit seinem Team punkten konnte. „Wir waren von Anfang an davon überzeugt, dass es in Berlin viele Talente gibt. Damals waren darunter noch nicht viele erfahrene Talente, sondern viele Absolventen von einschlägigen Universitäten“, hat sich die Entscheidung für den Standort als richtig erwiesen, „außerdem wirkt es für internationale Leute anziehend. Ich bin einer dieser Einwanderer, und die Welle von hochgebildeten Immigranten ist noch im Wachstum begriffen. Uns ist es früh gelungen, dadurch großartige Mitarbeiter zu bekommen – nicht zuletzt, weil unsere Technologie sowie unsere Nische sexy waren und immer noch sind.“ Mit dieser Meinung sind die Mitarbeitenden nicht allein: Erst Ende 2018 sorgte Fraugster mit seiner jüngsten Finanzierungsrunde für Schlagzeilen. Mehr als 14 Millionen US-Dollar investierten unter anderem die CommerzVenture, eine Beteiligungsgesellschaft der deutschen Commerzbank, ins Berliner Startup. Fraugster wird mit seiner/en Geschichte/en zweifellos noch länger von sich hören lassen.