Künstliche Intelligenz hat längst Einzug in unseren Alltag gehalten – und macht inzwischen auch vor dem Klassenzimmer nicht halt. Ob personalisierte Lernhilfen, smarte Unterrichtsplanung oder automatisierte Korrektur: KI-gestützte Tools bieten enorme Chancen, den Schulalltag für Lehrkräfte und Schüler:innen zu erleichtern und individueller zu gestalten. Doch wie lassen sich diese Technologien sinnvoll und verantwortungsvoll in den Bildungsalltag integrieren?
Genau damit beschäftigt sich Duy Anh Pham, Product Lead AI Product Innovation beim Bildungsmedienanbieter Cornelsen. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er praxisnahe Lösungen, die Lehrkräfte im Unterricht konkret unterstützen – und dabei gleichzeitig höchsten pädagogischen und datenschutzrechtlichen Ansprüchen gerecht werden. Im Interview mit #ai_berlin spricht er über die Rolle von generativer KI in der Bildung, über die Entwicklung der Cornelsen-KI-Toolbox, den Spagat zwischen Innovation und Verantwortung und darüber, wie das Klassenzimmer der Zukunft aussehen könnte.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview nehmen. Wie verändert künstliche Intelligenz das Lernen und Lehren an Schulen? Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie?
Spätestens seit dem Start von ChatGPT Ende 2022 war für uns klar, dass das Thema Künstliche Intelligenz auch den Bildungsbereich stark prägen und verändern wird. Mit cornelsen.ai machen wir generative KI kompatibel mit Bildung, da wir die typischen Schwächen von Sprachmodellen – wie etwa fehlerhafte Aussagen oder Ungenauigkeiten – gezielt ausgleichen. Dies erreichen wir durch die Integration von lehrplankonformen, didaktisch aufbereiteten Inhalten und qualitätsgesicherten Verlagsmaterialien, die von unseren Experten kuratiert werden.
Wir verstehen KI als dynamischen Entwicklungsprozess, bei dem wir kontinuierlich an der Verbesserung arbeiten. In enger Zusammenarbeit mit Lehrenden setzen wir auf ein agiles Entwicklungsmodell, das konstant Feedback einbindet und unsere Lösungen Schritt für Schritt verfeinert. So entstehen alltagstaugliche und verlässliche Tools, die Lehrkräfte unmittelbar in ihrer pädagogischen Arbeit unterstützen – während wir gleichzeitig unsere hohen Bildungsstandards wahren.
Können Sie uns die KI-Toolbox von Cornelsen näher erläutern? Welche Funktionen bietet sie Lehrkräften und Lernenden?
In unserer KI-Toolbox cornelsen.ai bieten wir aktuell fünf verschiedene Tools an, die die ganze Bandbreite des Lehrkräftealltags abdecken. Cornelsen-GPT ist der digitale Assistent für Lehrkräfte und unterstützt beispielsweise bei administrativen Aufgaben wie der Vorbereitung von Veranstaltungen, fungiert als Ideengeber, gibt pädagogisch fundierte Ratschläge mit Hilfe von hinterlegter Fachliteratur oder hilft bei der zeitaufwendigen Elternkommunikation. Der KI-Unterrichtsplaner liefert Vorschläge für Unterrichtssequenzen und passt diese flexibel an Bundesland, Schulform, Klassenstufe, Fach, Thema und die geforderten Kompetenzziele sowie einen vorgegebenen Zeitraum an. Der KI-Material-Designer erstellt passendes und differenziertes Lehr- und Lernmaterial für verschiedene Unterrichtsphasen – beispielsweise Diskussionsanlässe mit Lebensweltbezug, Lesetexte oder Aufgaben mit Lehrplanpassung und Lehrwerksbezug (Beta). Und unser KI-Korrektur-Assistent unterstützt in Zusammenarbeit mit DUDEN bei der Korrektur von Texten und Hausaufgaben der Schülerinnen und Schüler. Dank Handschrifterkennung können Texte einfach als Fotos oder Scan hochgeladen und dann anonymisiert und ausgewertet werden. Ganz neu hinzugekommen sind außerdem unsere KI-Lernhelfer. Das sind KI-Chats, die Lehrkräfte zu einem beliebigen Thema erstellen können und die die Schülerinnen und Schüler dann beim Lernen unterstützen. Perspektivisch rücken unsere klassischen Lehrwerke und KI immer näher zusammen, sodass sich KI nahtlos in den Unterricht einfügen kann.
Wie reagieren Lehrkräfte und Schulen auf KI-gestützte Bildungstools? Und welche ethischen Richtlinien verfolgen Sie beim Einsatz von KI?
Das an uns gerichtete Feedback zeigt: Lehrkräfte sind offen (aber auch kritisch) gegenüber KI-Tools und sehen viele Chancen für ihren Alltag in der Schule. Allerdings sind sie aufgrund der vielfältigen Anforderungen in der Schule auch chronisch überlastet. Unsere Angebote sind bewusst niedrigschwellig gestaltet und entlasten und unterstützen Lehrkräfte gezielt in ihrem Alltag. Der Umgang mit Sprachmodellen ist nicht nur ein technologischer Wandel, sondern auch ein kultureller: Arbeitsabläufe werden verändert, deswegen ist die nutzerzentrierte Produktentwicklung essenziell für uns. Ergänzend dazu gibt es ein großes Angebot von Schulungen, die konkrete Anregungen für den Einsatz in der Unterrichtspraxis liefern. Großes Potenzial zur Entlastung der Lehrkräfte sehen wir in der Lehrwerks-Passung der KI-Tools Unterrichtsplanung und Materialerstellung, die unsere gedruckten und digitalen Angebote perfekt ergänzen. Diese Passungen werden derzeit sukzessive als Beta-Test-Angebot integriert, um diese dann perspektivisch direkt in unseren Lehrwerken, wie z.B. dem Unterrichtsmanager für Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen.
Welche Maßnahmen ergreift Cornelsen, um den Datenschutz und die Sicherheit von Schüler:innendaten in KI-Anwendungen zu gewährleisten?
Das ist bei unseren digitalen Bildungslösungen ein sehr wichtiges Thema, das wir bei allen Entwicklungsschritten immer mitdenken. Die Erhebung sowie Speicherung personenbezogener Daten erfolgt in Übereinstimmung mit den aktuellen Datenschutzbestimmungen. Wir arbeiten dabei eng mit Schulbehörden zusammen, betreiben die KI-Toolbox auf Servern in der EU und bieten grundsätzlich einen anonymisierten Zugang zu KI-Sprachmodellen. Bei den bereits erwähnten KI-Lernhelfern für unsere Schülerinnen und Schüler setzen wir auf ein in Deutschland gehostetes Open Source-Sprachmodell, welches den höchsten Datenschutzanforderungen entspricht, denn ein Hinweis auf “Bitte geben Sie keine personenbezogenen Daten ein” reicht hier nicht.
Reden wir über Skalierbarkeit: Streben Sie an, Lernen mit KI-Lösungen international auszurollen? Und wie wichtig ist es gleichzeitig, dass wir eigene Lösungen auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene finden, um eigene Werte und relevante Inhalte zu priorisieren?
Cornelsen ist traditionell ein Unternehmen mit Schwerpunkt im DACH-Raum, wo unsere Expertise verankert ist. In diesem Bereich sind wir seit Jahrzehnten bekannt für bestmögliche Bildungsmedien und fokussieren uns deswegen auch in punkto KI auf diese Region. Gerade im Bildungsbereich darf die Qualität auf gar keinen Fall unter der eingesetzten Technologie leiden. Hier gibt es kein “one size fits all”. Statt mit Tech-Unternehmen im Bereich der Technologie zu konkurrieren, setzen wir KI strategisch ein, um unsere didaktische Expertise – unser eigentliches Differenzierungsmerkmal – kontinuierlich zu vertiefen und auszubauen.
Welche Entwicklungen im Bereich KI und Bildung erwarten Sie in den nächsten fünf Jahren? Wie wird sich das Klassenzimmer der Zukunft verändern?
KI ist in der Bildung angekommen – nicht als vorübergehender Trend, sondern als fundamentale Transformation. Wir bei Cornelsen investieren konsequent in diese Zukunft, weil wir überzeugt sind, dass nur die Unternehmen bestehen werden, die jetzt mutig und verantwortungsvoll vorangehen. Für viele unserer Kunden ist KI, besonders die Nutzung von Sprachmodellen, noch eine Black Box voller Unsicherheiten. Doch wie bei jeder technologischen Revolution werden Sprachmodelle unsere Arbeitsweisen grundlegend verändern – vom Unterrichtsentwurf bis zur personalisierten Lernbegleitung. Dieser kulturelle Wandel braucht Zeit und Vertrauen. Daher entwickeln wir nutzerzentrierte Lösungen, die Lehrkräfte behutsam auf dieser Reise begleiten. Das Faszinierende: Mit KI können wir heute Bildungsherausforderungen angehen, die vor wenigen Jahren noch unlösbar schienen: Man kann den Sprachmodellen buchstäblich sagen, was man erreichen möchte. Sie passen nicht nur Lerninhalte an, sondern können auch Tonalität, Erklärungstiefe und Kommunikationsstil individuell auf jeden Lernenden abstimmen – ähnlich einem einfühlsamen Tutor, der genau weiß, wie er jeden Lernenden am besten erreicht. Gleichzeitig sehen wir einen Trend zu branchenspezifisch angepassten KI-Modellen. Allgemeine Modelle werden zunehmend den spezialisierten, fachspezifisch optimierten Systemen weichen – eine Entwicklung, die wir in der Bildungsbranche durch die Verbindung von KI mit unserer didaktischen Expertise, pädagogischer Erfahrung und qualitätsgesicherten Verlagsinhalten aktiv mitgestalten. Diese Freiheit wird Klassenzimmer in kreative, kollaborative Räume verwandeln, in denen individuelles Lernen und menschliche Beziehungen sogar mehr Raum bekommen als heute.
Vielen Dank für das Gespräch.
*Hinweis: Dieses Interview wurde auf Deutsch geführt und auf Englisch übersetzt