Einfach, digital, schnell und bequem: Worum es Kund*innen heutzutage vielfach geht, zeigt auch die steigende Relevanz von Blitz-Lieferdiensten, die ihre Lebensmittelpakete in zehn bis 15 Minuten direkt an die Haustür bringen und in deutschen Großstädten wie Pilze aus dem Boden schießen. Und während einige Menschen den Gang in den nächsten Supermarkt nun gänzlich scheuen könnten, gibt es doch innovative Ideen und Möglichkeiten, den traditionellen Supermarktbesuch effizienter zu gestalten. Das junge Berliner Startup Nomitri um das Gründer*innenteam Trinh Le-Fiedler, Max Fiedler und Moritz August hat beispielsweise ein autonomes und kontaktloses Self-Check-Out-System auf Basis von Visual AI entwickelt. Dieses funktioniert ohne teure Kamera-Installationen, die Einrichtung einer Cloud-Infrastruktur und Internetverbindung und vermeidet nebenbei lästige Warteschlangen. #ki_berlin hat mit CEO Trinh Le-Fiedler über ihre KI-Lösung, den Einfluss der Corona-Pandemie und die Zukunftsfähigkeit der deutschen Supermarktketten gesprochen.
Hallo Frau Le-Fiedler, wie ist es zur Gründung von Nomitri gekommen und woran arbeiten Sie und Ihr Team?
Wir haben Nomitri 2019 gegründet. Moritz und Max, meine beiden Mitgründer, und ich hatten schon länger die Idee, dass wir zusammen ein Deep-Tech-KI-Unternehmen im Embedded-Bereich aufbauen wollen, allerdings wollten wir nicht starten, bevor wir eine konkrete Produktidee haben. Dabei war uns allen dreien wichtig, dass wir ein Produkt entwickeln, das ein reales Problem löst. Erfahrungstechnisch ergänzen wir uns sehr gut. Ausschlaggebend war dann, als Max auf einer Computer-Vision-Konferenz in den USA war: Dort hat er einen der ersten AmazonGo-Stores gesehen. Das war unsere Inspiration. Max kam wieder nach Deutschland und ich habe sofort das Potenzial einer KI-Lösung für den Self-Checkout gesehen. Als ehemalige Direktorin bei einem großen E-Commerce-Player weiß ich, dass der stationäre Handel von digitalen Lösungen und schnellen Daten nur profitieren kann.
Wir sehen uns als Innovator im Bereich Embedded Deep-Learning Visual AI, die sich um die intelligente Bilderkennung unter Anwendung von neuronalen Netzen dreht. Wir entwickeln State-of-the-Art-Technologie – Forschung, Entwicklung und die kommerzielle Seite liegen bei uns sehr nah beieinander. Es gibt weltweit nicht viele Firmen, die machen, was wir machen: Wir sind die ersten, die es geschafft haben, Deep-Learning-Algorithmen so zu komprimieren, dass sie auf Smartphones und anderen mobilen Geräten, also “embedded“ und „on the edge” funktionieren. Unsere Technik wird durch ein sich im Verfahren befindliches Patent geschützt. Die Lösung, an der wir gerade arbeiten, ist unsere Nomitri App, ein intelligenter Shopping-Assistent: Eine Self-Checkout-Lösung für das Smartphone, die erweiterte Funktionen wie Diebstahlschutz, Personalisierung und Couponing bietet – alles unter Berücksichtigung des Datenschutzes. Unsere Lösung pilotiert derzeit in Deutschland bei Metro und Edeka Lüning.
Was sind die großen Vorzüge Ihrer Lösung und wie heben Sie sich von Ihren Konkurrenten ab?
Nomitri hat eine einzigartige Position im Markt der Self-Checkout-Lösungen. Lösungen, die zwar KI-basiert sind, jedoch auf Kameraüberwachung und Sensoren setzen, sind sehr teuer – da kann es um mehrere Millionen Euro pro Laden gehen. Im Gegensatz dazu ist für unsere Lösung nur eine Halterung am Einkaufswagen notwendig und Einzelhändler bezahlen eine Gebühr für die Nutzung der App – ein klarer Kostenvorteil. Kundinnen und Kunden nutzen einfach ihr Smartphone. Klassische Scan&Go-Lösungen sind ähnlich günstig – jedoch bieten Sie keine Vorteile durch KI, wie z. B. Diebstahlschutz und Personalisierung. Man sieht: Nomitri hat wirklich eine einzigartige Position, wir vereinen quasi “best of both worlds”. Die kostengünstigste Lösung und eindeutige Vorteile durch KI.
Thema Corona-Pandemie, Kontaktreduzierung und Self-Checkouts im Geschäft: Hat dies auch eine gewichtige Rolle gespielt, warum Ihre Lösung solch einen Anklang gefunden hat?
Wir haben Nomitri 2019 gegründet, also bevor Corona ein Thema wurde. Die Pandemie ist definitiv ein Innovationstreiber, nicht nur in unserem Bereich. Einzelhändler suchen nach neuen Lösungen, die Menschen wieder in die Geschäfte bringen. In-Store-Innovation kann ein einmaliges Einkaufserlebnis kreieren und wir glauben, dass Einzelhändler so auch die Menschen ansprechen können, die derzeit lieber online einkaufen. Allgemein bietet Online-Einkaufen viele Annehmlichkeiten, die den Einkauf in einem Laden aufwändig und umständlich erscheinen lassen. Was die Pandemie gezeigt hat, ist, dass Kundinnen und Kunden vor allem schnell und kontaktlos einkaufen möchten – genau das ist mit unserem intelligenten Shopping-Assistenten möglich. Auch nach Corona wird die Digitalisierung in stationären Läden eine immer wichtigere Rolle spielen.
Inwiefern flossen datenschutzrechtliche Erwägungen in die Entwicklung des KI-Shopping-Assistenten ein?
Wir machen Dinge anders, als bekannte Player im Markt. Wir setzen auf nicht-invasive Technik. Wenn Kundinnen und Kunden mit unserer App einkaufen, montieren sie ihr Smartphone am Einkaufswagen. Gesichter werden nicht gefilmt. Darüber hinaus verlassen Videodaten niemals das Smartphone der Kundinnen und Kunden. Bekannte Lösungen, wie zum Beispiel AmazonGo, setzen auf Kameraüberwachung und Sensoren – davon wollen wir weg, bzw. wollten gar nicht erst hin. Wir konnten auch von den Fehlern der anderen lernen und es von Anfang an besser machen. Künstliche Intelligenz ist nach wie vor von vielen Vorurteilen behaftet. Gesellschaftlich sind wir noch am Anfang, was die Akzeptanz von KI angeht, jedoch glaube ich, dass sich das ändern wird, wenn KI uns auch tatsächlich im Alltag in verschiedenen Bereichen begleitet. Wir wollen auch die Skeptiker abholen und sagen: Hey, wir haben eine KI-Lösung, die viele Vorteile bietet, leicht zu benutzen ist und trotzdem deine Privatsphäre wahrt!
Ist der Einzelhandel in Deutschland und im Rest der DACH-Region so aufgeschlossen, sich auf die neue Technologie und ihre Möglichkeiten einzulassen? Was sind Ihre Erfahrungen?
Tatsächlich macht es einen großen Unterschied: Unserer Erfahrung nach ist die Retail-Branche in Deutschland konservativ. Viele Einzelhändler zeigen Interesse, jedoch folgt dann oft ein bürokratischer Spießrutenlauf, bis überhaupt eine Demo zustande kommt. Die Digitalisierung wurde in Deutschland zu lange vernachlässigt, da ist der Einzelhandel keine Ausnahme. Man hat Angst, ältere Kundinnen und Kunden zu verprellen. Da sind Retailer in anderen Ländern aufgeschlossener und kommen von selbst auf uns zu: Sie haben die Erfahrung gemacht, dass man mit digitalen Lösungen im Gegenteil neue Zielgruppen ansprechen und den Umsatz steigern kann. Aber genau da setzt unsere Lösung an: Mit Nomitri ist es möglich, einen Laden Schritt für Schritt “umzubauen”. Es wird weiterhin normale Kassen geben, jedoch auch die Option, mit der App zu bezahlen. Darüber hinaus funktioniert die App auf fast jedem Smartphone – die meisten Kundinnen und Kunden besitzen bereits eins, daher ist eine Eingewöhnung an ein neues System oder dergleichen nicht notwendig.
Laut der Analyse einer der größten europäischen Lebensmitteleinzelhandelsketten geben Käufer mit dem Konkurrenzprodukt MishiPay Scan & Go 14 Prozent mehr in Supermärkten aus. Bestätigt Sie das in Ihren unternehmerischen Gedanken?
Laut unserer Analysen geht es sogar noch weiter: Eine Studie von McKinsey hat gezeigt, dass Kaufempfehlungen bei Amazon bereits 35 Prozent des Umsatzes ausmachen. Der Umsatzanstieg dank der Nutzung von MishiPay ist wohl den Annehmlichkeiten, die mit der Nutzung einhergehen, wie z. B. Zeitersparnis und “Spaß am Shoppen” zuzuschreiben. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Ergebnisse wiederholen. Wir erwarten uns durch die Nutzung unserer App sogar noch größere “basket sizes” (also wie viel eine Person während eines Einkaufs abgescannt), da wir auch persönliche Empfehlungen und Couponing anbieten. Weiterhin hat eine Studie von 451 Research und Adyen gezeigt, dass US Retailer Einbußen von über 37 Milliarden Dollar jährlich haben, da Kundinnen und Kunden aufgrund von Wartezeit den Laden erst gar nicht betreten oder aber ihren Einkauf abbrechen. Auch da setzen wir an und bieten dank Self-Checkout eine Lösung dieses Problems.
Was planen Sie darüber hinaus noch mit Ihren Partnern für weitere Unternehmungen auf dem Gebiet der KI? Lässt sich das KI-Konzept auf andere Bereiche übertragen? Wenn ja, auf welche?
Unsere Partner sind Marktführer in ihrem Segment. Medion und Gebit unterstützen uns vor allem mit ihrem Know-how im Bereich Retail und somit auch beim Markteintritt mit unserem intelligenten Shopping-Assistenten. Variscite und Phytec sind führende System-on-Module-Produzenten, die uns bei der notwendigen Hardware unterstützen. Hier sind Kooperationen auch in weiteren Bereichen denkbar, zum Beispiel beim Bau intelligenter Drohnen oder anderer Industrieapplikationen in der Zukunft. Visuelle KI, die embedded und “on the edge” funktioniert, bietet sehr viele Anwendungsmöglichkeiten: Prinzipiell kann man jede Kamera “intelligent” machen und somit deren Anwendung viel effizienter. Möglich wäre hier die Wetterüberwachung, Vermessungen und Zählungen, um nur ein paar Anwendungsmöglichkeiten zu nennen.
Des Weiteren planen wir eine Kooperation mit einem globalen Einzelhandelsausstatter, die jedoch noch nicht bekannt gegeben werden darf. Wir planen hier auch, KI über einen anderen Kanal in stationäre Läden zu bringen.
Was bietet das Berliner KI-Ökosystem für Sie als Unternehmen? Was macht den Standort für Sie so attraktiv?
Berlin als Hauptstadt hat eine große Anziehung für hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch aus dem Ausland. Das wird auch bei unserer Teamstruktur deutlich: Bei Nomitri arbeiten Menschen mit zehn Nationalitäten – bemerkenswert, wir sind schließlich nur 14! Berlin als Startup-Zentrum wächst ständig weiter. Ich glaube, dass es an einem anderen Standort schwieriger wäre, das für uns passende Personal zu finden. Wir haben es, auch dank unserer spannenden Mission, geschafft, ein exzellentes Team zu rekrutieren, das teilweise langjährige internationale Arbeitserfahrung im KI-Bereich mitbringt.
Das KI-Umfeld in Berlin bietet natürlich auch einige Vorteile: Neben Vernetzung und Austausch mit Unternehmen bieten sich auch Möglichkeiten für Kooperationen. Darüber hinaus sind auch viele Investoren in Berlin ansässig.