Prof. Dr. Peter N. Robinson, Humboldt-Professor für Künstliche Intelligenz 2024 am BIH © BIH/Thomas Rafalzyk

11 März 2024

"Es wird in den kommenden Jahrzehnten mithilfe von KI möglich sein, Präzisionsmedizin bei den meisten Krankheiten anzuwenden."

Der Bioinformatiker Prof. Dr. Peter N. Robinson gilt als Pionier der computergestützten Genom- und Phänotyp-Analyse von genetischen Krankheiten. Er hat mit der Human Phenotype Ontology ein international anerkanntes Standardinstrument für die Diagnose von genetisch bedingten Erkrankungen geschaffen. Einen großen Teil seines Wirkens in Forschung und Lehre hat er in Berlin absolviert. Nach einigen Jahren in den USA, ist er seit Anfang des Jahres als Alexander von Humboldt-Professor für Künstliche Intelligenz am Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité zurück in der Hauptstadt. Wir haben mit ihm über seinen Blick auf Berlin als Rückkehrer und über seine Forschung gesprochen.

Herr Professor Robinson, was waren die Beweggründe, wieder zurück nach Berlin zu kommen?

Das Berlin Institute of Health (BIH) bietet die Chance in Deutschland, translationale Forschung auf höchstem internationalem Niveau zu betreiben. Denn dem BIH ist es gelungen, eine effektive Brücke zwischen Forschung und dem täglichen Betrieb in Kliniken zu schlagen. Unser Ziel ist es, Künstliche Intelligenz und Algorithmen nah an der Praxis zu testen und weiterzuentwickeln, was hier im BIH als Teil der Charité vergleichsweise unkompliziert möglich ist. Ich knüpfe mit klinischen Gruppen an der Charité bereits Kontakt, um kollaborativ die Anwendung von KI in der medizinischen Forschung zu testen. Diese Nähe zur Praxis, die damit verbundenen Möglichkeiten als auch die Exzellenz der Forschung waren die ausschlaggebenden Beweggründe für meine Rückkehr. Letztlich ist Berlin auch ein idealer Standort, um Forschung zu betreiben und leben lässt es sich hier auch gut.

Können Sie uns kurz die von Ihnen entwickelte Human Phenotype Ontology (HPO) vorstellen? Welche Fragen kann man damit in der Medizin beantworten?

Bei der HPO handelt es sich um eine Ontologie genetisch-assoziierter Krankheiten. Es ist also eine Datenbank, die klinische Erscheinungsbilder von Krankheiten den entsprechenden Genmutationen und Syndromen zuordnet. Die Herausforderung, die wir versuchen mit der Ontologie zu meistern ist, Computer in die Lage zu versetzen, menschliches Wissen zu analysieren. Eine Ontologie gießt zu diesem Zweck Wissen in Datenstrukturen. Bei der HPO haben wir circa 17.000 Symptome als Begriffe – sogenannte „Ontologie-Terms“ – für den Computer so spezifiziert, dass sie für die Künstliche Intelligenz (KI) verwendet werden können. Ein einfaches Beispiel für eine solche Spezifikation ist die Verknüpfung einer Erkrankung wie dem Grauen Star in der HPO mit dem peripheren Grauen Star. So weiß der Computer, dass diese Krankheiten zueinander gehören. Parallel gibt es Krankheitsmodelle, die sich aus Symptomen von Krankheiten sowie anderen Informationen wie etwa zu den Genomen zusammensetzen. Auf diese Weise ist ein semantisches Netzwerk von Begriffen entstanden, das mit Hilfe von KI die Diagnostik verbessern kann.

Auf welche zukünftigen Kooperationen, Projekte und Initiativen in der Region sowie in Deutschland freuen Sie sich am meisten?

Wir haben schon eine konkrete Zusammenarbeit mit klinischen Gruppen an der Charité beschlossen. Da es hier zeitnah los geht, freue ich mich darauf aktuell am meisten. Darüber hinaus wird es künftig Kooperationen mit vielen Gruppen in Deutschland, Europa und weltweit geben, um die HPO weiter auszubauen. Dabei wird es auch immer darum gehen, die Bedürfnisse innerhalb des jeweiligen Faches zu erfüllen, was an sich schon eine spannende Aufgabe ist. In diesem Rahmen werde ich auch die Zusammenarbeit mit den europäischen Referenznetzwerken für seltene Erkrankungen ausbauen, wovon ich mir große Fortschritte verspreche. Unterm Strich warten künftig eigentlich nur spannende Kooperationen.

Wie sieht für Sie die Medizin der Zukunft aus? Und welche Rolle spielt KI und Big Data auf dem Weg zur personalisierten Präzisionsmedizin?

Vereinfacht gesagt ist es heute so, dass eine Ärztin oder ein Arzt verschiedene Optionen bei der Behandlung einer Erkrankung hat. Die Diagnostik identifiziert dafür die Krankheit und der behandelnde Mediziner wählt die Therapie, die bei allen im Schnitt am besten wirkt. Es ist aber davon auszugehen, dass bei den meisten der derzeit bekannten Krankheiten Unterformen bestehen. Der Ansatz der Präzisionsmedizin ist der, genau diese Unterformen festzustellen, die Behandlung darauf abzustimmen und damit auf den jeweiligen Patienten zu zuschneiden, weil eine spezifische Therapie meist erfolgreicher ist. Dies ist zum Beispiel bei der Behandlung von Brustkrebs bei Frauen mittlerweile ein verbreiteter Ansatz, der schon viele Leben gerettet hat. Bis auf wenige Ausnahmen geschieht dies bei anderen Erkrankungen aber noch nicht. Meiner Ansicht nach wird es in den kommenden Jahrzehnten mithilfe von KI möglich sein, die Untergruppen von Krankheiten besser zu verstehen und so Präzisionsmedizin bei den meisten Krankheiten anzuwenden. Sowohl KI als auch Big Data werden dabei in großem Rahmen Anwendung finden und diesen Prozess möglich machen.

Welchen Stellenwert hat das BIH und Ihr Forschungsbereich für das Berliner KI-Ökosystem und den Cluster Gesundheitswirtschaft HealthCapital? 

Die Kolleginnen und Kollegen am BIH arbeiten auf einem hohen Niveau, das gilt auch für meinen Forschungsbereich. Ich denke, dass das BIH mit seiner Forschung im Berliner KI-Ökosystem einer der Motoren für die breitere Anwendung von KI in der Medizin sein kann. Auch darüber hinaus denke ich, wird es uns gelingen, einen Beitrag zu leisten.

Dieses Interview wurde zuerst auf healthcapital.de veröffentlicht.