Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den Klimawandel zu spielen: Durch datengetriebene Modellierungen kann die Technologie dabei helfen, innovative Lösungen für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen zu entwickeln und zu implementieren. Durch den Einsatz von KI können zum Beispiel intelligente Stromnetze entwickelt werden, die erneuerbare Energiequellen effizienter nutzen und die Lastverteilung verbessern. Darüber hinaus kann KI in der Klimaforschung dazu beitragen, die Auswirkungen des Klimawandels besser zu verstehen und vorherzusagen.
Spannende Ansätze, die Prof. Dr. Lynn Kaack sehr genau kennt. Sie ist seit 2021 Juniorprofessorin für Computer Science and Public Policy an der Hertie School in Berlin, an der sie die AI and Climate Technology Policy Group leitet. Ihre Arbeit konzentriert sich auf Methoden der Statistik und des Maschinellen Lernens, um Klima- und Energiepolitik zu unterstützen, sowie auf die klimabezogene KI-Politik. Sie ist außerdem Mitbegründerin und Vorsitzende der Organisation Climate Change AI. Mit #ai_berlin hat Sie über die Schnittstelle von KI und Klimaschutz, Up-Skilling für Führungskräfte sowie Argumente für ein stärkeres Engagement im Klimaschutz gesprochen.
Frau Prof. Dr. Kaack, was hat Sie ursprünglich dazu bewogen, sich bei Ihrer Forschung auf den Schnittpunkt von Informatik, öffentlicher Politik und Klimawandel zu konzentrieren?
Ich hatte schon in der Schulzeit vor, etwas im Bereich Klimaschutz zu machen und hatte die Idee, dass man diese gesellschaftliche Herausforderung mit quantitativen Ansätzen weiterbringen könnte. Ich habe dann zunächst Physik studiert, um eben im Bereich der quantitativen Methoden zu arbeiten – immer mit dem Thema Klimaschutz im Hinterkopf. Für mich war die Politik schon immer ein großer Hebel, um die Gesellschaft voranzubringen und beim Klimaschutz weiterzukommen. Nach dem Master in Physik habe ich dann einen PhD an der Carnegie Mellon University im Fachbereich Engineering and Public Policy gemacht, der eine ingenieurwissenschaftlich-technische Perspektive mit der Politik verbindet.
Wie kam die Fokussierung auf Machine Learning bei Ihnen zustande? War das der logische nächste Schritt?
Während meines Doktorats bin ich dann quasi nebenbei in die Machine-Learning-Schiene reingerutscht und fand das sehr spannend. Im Bereich der Public Policy gab es zu dieser Zeit kaum Forscher*innen, die sich für Machine Learning interessiert haben. So habe ich während meines PhDs noch einen Master in diesem Bereich gemacht und bin dann zu meiner großen Fragestellung gekommen: Wie kann man ML-Methoden im Bereich der Klima- und Energiepolitik sinnvoll nutzen?
Ist dieser Ansatz denn einer, der sich schon in den USA zementiert hat oder eher etwas, was erst mit Ihrer Rückkehr nach Berlin entwickelt wurde?
Meine Schwerpunktsetzung ist bereits in den USA entstanden. Ich habe dort einige Forscher kennengelernt, die sich für diese Schnittstelle interessiert haben. Mit dem Ende meines PhDs haben wir zusammen ein wissenschaftliches Paper zu diesem Thema geschrieben. Die meisten aus unserer Autorengruppe kamen vom Maschinellen Lernen und haben sich gleichzeitig für das Thema Klima interessiert, bei mir war es umgekehrt: Ich kam eher aus dem Bereich KIimaschutz und habe mich für das Maschinelle Lernen interessiert. Ich glaube, dass viele von uns sich in ihren Fachgebieten als Außenseiter*innen gefühlt haben, weil es diese Schnittstelle als Thema einfach nicht gab. In Deutschland genauso wenig wie in den USA.
Daraus hat sich dann so etwas wie eine Bewegung geformt und wir haben sehr bald eine Organisation mit dem Namen Climate Change AI gegründet.
Was hat es mit Climate Change AI auf sich? Was sind die genauen Ziele?
Mit Climate Change AI versuchen wir, die Arbeit an der Schnittstelle zwischen dem Maschinellen Lernen und dem Klimaschutz zu fördern. Und wir machen das mit einer ganzen Reihe an Angeboten und Initiativen.
Auf der einen Seite bieten wir regelmäßige Workshops auf KI-Konferenzen an, bei denen man sich über die Forschung austauschen kann. Wir haben auch eine Online-Community für die direkte Kommunikation untereinander aufgebaut.
Zum anderen koordinieren wir weiterführende Bildungsangebote, wie zum Beispiel unsere Summer School, deren virtueller Teil eine Reihe von Online-Vorlesungen ist, an denen man flexibel teilnehmen kann. Darüber hinaus bieten wir auch Forschungsförderung durch ein eigenes Grants-Programm, die Innovation Grants, die jetzt in die dritte Runde gehen.
Wie ist die Organisation genau aufgestellt?
Mit wir meine ich eine große Gruppe von Freiwilligen, das sind etwa 50 Personen aus der ganzen Welt, die durch einige feste Mitarbeitende unterstützt werden. In den USA sind wir als NGO registriert, aber wir sind als Organisation global aufgestellt, denn der Klimawandel ist natürlich ein globales Problem.
Sie haben gerade die Summer School angesprochen. Was sind die Hauptziele dieses Programms, und was hoffen Sie, das die Teilnehmer*innen daraus mitnehmen?
Unsere Summer School besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Programmen – eine virtuelle und eine Summer School vor Ort.
Die virtuelle Summer School läuft von Mitte Juni bis Anfang August und besteht aus einer Vorlesungsreihe, die niedrigschwellig zugänglich ist und einen guten Überblick über das große Thema Klimaschutz und Künstliche Intelligenz bieten soll.
Inhaltlich tauchen wir in die verschiedenen Sektoren ein und beschäftigen uns gleichzeitig mit wichtigen übergreifenden Fragen zum Impact von KI, ethischen Fragestellungen oder dem Durchführen von Projekten.
Ein Ziel ist es auch, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Wir wollen erreichen, dass sich Teilnehmer*innen aus dem klassischen KI-Bereich näher mit dem Themenkomplex Klimaschutz beschäftigten und verstehen, welche Themen es gibt, wie man an diesen arbeitet und was Kriterien für Klima-Impact sind. Und wenn man umgekehrt eben aus dem Klimabereich kommt, kann man sich näher mit dem Thema KI auseinandersetzen und verstehen, was die Technologie überhaupt leisten kann und was für ein Team es für erfolgreiche KI-Projekte braucht..
Und dann gibt es noch den zweiten Teil der Summer School. Dieses Jahr findet die Summer School am Mila Québec AI Institute in Montreal statt. Das sind etwa 40 Teilnehmende aus der ganzen Welt, die wir aus vielen Bewerber*innen ausgewählt haben und die dann Projekte zusammen entwickeln. Hier geht es vor allem darum, eine interdisziplinäre Kohorte zu bilden und Projekte anzustoßen.
Gehen wir nun einmal in die Thematik und ziehen Bilanz: Wo stehen wir momentan, was die Nutzung von KI und Maschinellem Lernen zur Bekämpfung des Klimawandels angeht? In welche Richtung könnte sich das Thema in der nahen Zukunft entwickeln?
Insgesamt glaube ich, dass KI und das Maschinelle Lernen als Werkzeuge im Klimaschutz in vielen Bereichen in der Praxis noch nicht etabliert sind. Das Thema hat aber in den meisten Bereichen Eingang gefunden, so dass zumindest Sensibilität dafür besteht. In der Forschung wird ganz klar jetzt schon vermehrt mit dem Maschinellen Lernen gearbeitet.
Natürlich ist die KI dabei keine Allzwecklösung. Die Methoden können auch nicht in allen Bereichen sinnvoll angewandt werden. Und selbst da, wo es einen erwiesenen Mehrwert gibt, dauert es, bis wir von einem Effekt auf den Klimaschutz profitieren können. Um dann wirklich flächendeckend in existierende Prozesse eingebaut zu werden und einen Unterschied bei der Emissionsreduktion zu machen, braucht es eine gewisse Marktreife. Einige Industriezweige sind da relativ weit, andere aber noch nicht. Vor allem sehe ich den Stromsektor als Vorreiter.
Ein anderes Beispiel wäre auch die Nutzung von KI-Lösungen bei der vorausschauenden Instandhaltung. Das ist zwar per se nicht unbedingt klimafördernd. Aber wenn das in Bereichen passiert, die zentrale Standbeine für den Klimaschutz sind, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn, und da Kosten eingespart und Prozesse verlässlicher gemacht werden können, dann kann das auch einen großen Beitrag leisten.
In der Informationsbeschaffung spielt KI auch bereits eine große Rolle. Man generiert hier Wissen, welches Entscheidungsträger*innen zum Beispiel dazu benutzen können, um besser planen zu können, bessere Gesetze zu erlassen oder die Veränderungen im Klima und die menschliche Anpassung an den Klimawandel zu verfolgen. Darüber hinaus gibt es auch mehr Möglichkeiten, die Gesetze wirklich durchzusetzen. So werden viele Tools für die Überwachung der Abholzung von Regenwäldern bereits relativ standardisiert eingesetzt.
Es gibt also viele vielversprechende Anwendungsbereiche. Was sind für Sie die größten Herausforderungen oder Einschränkungen, die angegangen werden müssen, um KI effektiv für die Abschwächung des Klimawandels und die Anpassung daran einzusetzen?
Wie schon erwähnt, sehen wir in der Praxis noch oft Schwierigkeiten, auch gerade in kleineren Organisationen oder im öffentlichen Sektor. In vielen Bereichen existieren Ideen und werden bereits vielleicht in einem Pilotprojekt erprobt, jedoch ist vielen Organisationen die genaue Kosten-Nutzen-Rechnung nicht klar. Es ist vermutlich ein relativ großes finanzielles Risiko, von Grund auf anzufangen, KI anwenden zu wollen. Da braucht man viel Expertise, digitale Infrastruktur, Datenmanagement, etc., was es in vielen Bereichen noch nicht gibt.
Aus meiner Sicht muss Klimaschutz auch das oberste Ziel sein. Das heißt, wenn ein Projekt durch die KI sehr viele Ressourcen bindet, dann ist das nicht unbedingt immer dem Klimaschutz zuträglich. Man muss klug abwägen und sich darauf fokussieren, wo ein Einsatz viel Mehrwert bietet und wo es auch von den Voraussetzungen her stimmt.
Welche politischen Veränderungen sind Ihrer Meinung nach am wichtigsten, um die effektive Integration von KI-Technologien in Strategien zum Klimawandel zu erleichtern? Gibt es bestimmte Bereiche, in denen die politischen Entscheidungsträger*innen derzeit hinterherhinken?
Wir haben oft das Problem, dass man für KI ziemlich viel Kapazität auf personeller Ebene aufbauen muss oder alternativ verstehen muss, wie man ein Projekt vielleicht auch mit externen Expert*innen durchsetzen oder durchführen kann. Für viele Unternehmen ist es schlichtweg nicht möglich, eine eigene KI-Sparte aufzubauen. Umfragen zufolge wissen viele Stakeholder im Energiesektor eigentlich gar nicht, an wen sie sich wenden könnten, wenn sie an KI Interesse hätten.
Hier mangelt es massiv an Klarheit und damit könnte die Politik richtungsweisend unterstützen. Eine Idee wären Secondment-Programme, bei denen KI-Expert*innen in die Unternehmen oder Organisationen gehen können, ohne diese finanziell zu belasten. Das würde ihnen vielleicht erlauben, experimentell zu arbeiten, zum Beispiel, um zu verstehen, wo Potenziale liegen könnten, bevor man überhaupt bestimmte Projekte startet. Darüber hinaus braucht es ein Ökosystem an KI-Anbieter*innen, die auch Expertise in den verschiedenen klimarelevanten Sektoren mitbringen und gleichzeitig von den Kosten her transparent sind. Momentan wird solche KI-Beratung viel durch Big Tech und die großen Beratungsunternehmen geleistet.
Sie haben bereits das Thema Up-Skilling erwähnt. Sie haben selbst für den Herbst ein Zertifikatsprogramm auf die Beine gestellt. Auf welche Elemente konzentrieren Sie sich und welchen Stellenwert messen Sie dem Thema, insbesondere im politischen Geschäft, bei?
Das stimmt. Hierbei handelt es sich um ein Zertifikatsprogramm von der Hertie School mit dem Fokus auf KI in der öffentlichen Verwaltung, das durch die Dieter-Schwarz-Stiftung gefördert wird und gemeinsam mit der TUM und dem Oxford-Internet-Institut aufgesetzt wurde. Es ist relativ intensiv und erstreckt sich über fünf Module, die jeweils zweieinhalb Tage beanspruchen.
Unser Ziel ist es, ein Programm zu bieten, bei dem sich Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung, die sich mit KI auseinandersetzen wollen, das nötige Know-how aneignen können. Da wo KI-Projekte aufgezogen werden, braucht es einiges an Wissen und Expertise: Wen muss man einstellen? Was macht die KI eigentlich genau? Was wird gebraucht von Seiten der IT-Infrastruktur? In diesem Programm bilden wir niemanden aus, tatsächlich selbst KI-Modelle zu bauen. Wir haben hier stattdessen einen Ansatz gewählt, der das Verständnis für die Technologie in allen Bereichen der Verwaltung fördern soll.
Was gibt es neben dem Aufbau von Kapazitäten, der Förderung von Wissen und dem Aufbau eines Netzwerks noch für Maßnahmen, die man auch wirtschaftlich incentivieren kann? Welche Argumente für ein stärkeres Engagement für Klimaschutz braucht es noch?
Ein großer Hebel ist vermutlich, den CO2-Preis weiter anzuheben, damit Unternehmen spüren, dass sich Klimaschutz lohnt. Das ist zwar nicht KI-spezifisch, aber wir würden dadurch wahrscheinlich auch mehr KI-Anwendungen sehen, welche dabei unterstützen, Emissionen zu senken.
Ein anderer wesentlicher Bereich sind die Daten. Der öffentliche Sektor könnte zum Beispiel dabei unterstützen, dass sich Datenpools innerhalb eines Sektors bilden, der den Austausch von Daten zwischen Unternehmen untereinander fördert. Leider werden vielerorts wertvolle Daten gehortet, die Wissenschaftler*innen, Konkurrent*innen oder potenzielle KI-Implementierer*innen niemals zu Gesicht bekommen. Auch intern werden Daten nicht ausreichend geteilt und es besteht überhaupt kein Bewusstsein dafür, wo welche Daten existieren und was man überhaupt damit machen könnte.
Sehen Sie das Berliner Ökosystem gut aufgestellt, wenn es um KI und auch den Klimaschutz geht?
Berlin ist auf jeden Fall ein Hub für Klima-Themen und auch für KI zieht es viele nach Berlin. Ich selbst kenne einige Forscher*innen hier, die auch an der Schnittstelle von KI und Klima arbeiten. Von der Forschungsseite und auch von Gründer*innenseite ist Berlin exzellent aufgestellt. Gerade durch das Zusammenspiel von öffentlichem Sektor, Startups und Wissenschaft, kann die Stadt in Deutschland und Europa eine Vorreiter*innenrolle spielen.
Was ist der Reiz des Standorts und des Ökosystems für Sie?
Für mich als Forscherin im Bereich Politik und Klima ist Berlin der wichtigste Ort in Deutschland. Es gibt hier zahlreiche Universitäten und Institute, wie zum Beispiel das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, die zu Themen rund um den Klimawandel arbeiten. Gleichzeitig gibt es Institutionen, wie die Hertie School, die international renommierte Forschung im Politikbereich betreiben. Auch von der Präsenz der Bundesregierung profitiere ich sehr in meiner Arbeit.
Was würden Sie jungen Wissenschaftler*innen und politischen Entscheidungsträger*innen raten, die mit Hilfe von KI zu Lösungen für den Klimawandel beitragen möchten?
Für junge Wissenschaftler*innen gibt es ganz viele verschiedene Wege, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, und genau dafür haben wir Climate Change AI gegründet. Ich hebe ungern einen bestimmten Bereich hervor, weil die Probleme mit KI- und Klimabezug so vielfältig sind, dass man am besten seinen eigenen Stärken und Interessen nachgeht. Für erfolgreiche Projekte empfehle ich, in interdisziplinären und branchenübergreifenden Teams zu arbeiten und schon ganz zu Anfang relevante Stakeholder mit einzubeziehen um sicherzugehen, dass die entwickelten Lösungen sinnvoll sind.