Mit seiner Fülle an Forschungseinrichtungen, Netzwerken und smarten Start-ups sichert sich Berlin auch in 2024 die Spitzenposition in Deutschland wenn es um das Thema künstliche Intelligenz geht und spielt im Rennen der globalen Innovationsstandorte vorne mit. Doch wie integrieren Unternehmen in Berlin die Schlüsseltechnologie tatsächlich in ihre Prozesse? Die aktuelle Digitalisierungsumfrage der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) sieht die Stadt auf einem guten Weg, weist aber auch auf unausgeschöpftes Potenzial für die Zukunft hin. #ai_berlin hat mit IHK-Präsident Sebastian Stietzel über die Bedeutung von KI für Unternehmen, das Berliner KI-Ökosystem und seine Akteure sowie das „Zukunftsforum KI“ gesprochen, das im November eine Plattform für den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik schaffen will.
Herr Stietzel, wie sehen Sie die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Berlin? Welche konkreten Chancen bietet die Technologie speziell für Unternehmen hier in der Hauptstadt?
Künstliche Intelligenz ist für Berlin mehr als nur ein technologischer Trend; sie ist ein fundamentaler Baustein für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Wir müssen KI als eine der Schlüsseltechnologien unserer Zeit verstehen, die das Potenzial hat, die Art und Weise, wie Unternehmen und auch die Verwaltung operieren, grundlegend zu verändern und neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Speziell für Berlin mit unserer dynamische Start-up-Szene, zahlreichen Tech-Talenten und starker wissenschaftlicher Infrastruktur bietet KI die Chance, diese Innovationskraft für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand in der Stadt zu nutzen.
Dazu gibt KI gerade in der aktuell angespannten Wirtschafts- und Haushaltslage Anlass, das enorme Potenzial dieser Stadt positiv zu sehen. Zwar sollten wir nicht den Fehler machen, KI als Allheilmittel für die Krisen dieser Welt zu sehen. Aber auf jeden Fall ist mit der Technologie eine Aufbruchstimmung einhergegangen, die wir lange vermisst haben: Viele Unternehmen sehen die Möglichkeiten, wie KI ihre Prozesse noch weiter optimieren und automatisieren kann, wie sich Kundenerlebnisse personalisieren und neue Märkte erschließen lassen. Das zeigt auch unsere aktuelle IHK-Digitalisierungsumfrage, in der ein Drittel der befragten Unternehmen angab, KI bereits aktiv zu nutzen. Das sind doppelt so viele wie noch vor einem Jahr. Ein weiteres Drittel plant den Einsatz innerhalb der nächsten drei Jahre.
Im internationalen Vergleich gibt es einen starken Wettbewerb um Talente und Investitionen im KI-Bereich. Wo ist Berlin hier im Vergleich zu anderen Innovationszentren aufgestellt und was muss getan werden, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben?
Im internationalen Vergleich steht Berlin gut da, aber es gibt noch viel zu tun, um an der Spitze zu bleiben. Die aktuelle appliedAI-Studie hat einmal mehr bestätigt, dass Berlin die deutsche KI-Startup-Hauptstadt ist. Dazu kommen diverse Forschungsinstitute und Hochschulen, die hier zu ganz unterschiedlichen KI-Themen arbeiten. Diese lebhafte und internationale KI-Community in Berlin schafft eine große Anziehungskraft und ist auch im globalen Wettbewerb ein riesiger Standortvorteil. Einige Großkonzerne haben aus diesem Grund ihre KI-Hubs oder Labs bewusst in Berlin eröffnet und wir hören auch von KI-Startups, dass sie sich für Berlin entschieden haben, weil sie hier für die Realisierung ihrer Ideen und ihr Wachstum einen größeren Talentepool finden.
Bei all der Strahlkraft, die Berlin als Weltmetropole und KI-Hotspot aktuell versprüht, dürfen wir jedoch nicht riskieren, dass andere Standortfaktoren diese Dynamik zunichtemachen. Wohnungsmangel, langsame Bürokratie und bröckelnde Infrastruktur müssen konsequent adressiert werden. Und trotz klammer Kassen brauchen wir Investitionen: Wir müssen Bildung und Forschung in Schlüsseltechnologien und -kompetenzen weiter ausbauen und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft intensivieren. Dazu müssen wir dafür sorgen, dass Startups über verschiedene Wachstumsphasen hinweg in Berlin noch die Unterstützung und Finanzierung finden, um weiter am Standort zu bleiben und nicht gen USA oder UK abwandern. Initiativen wie das angestrebte Innovations- und Gründungszentrum UNITE können hierfür ein Schlüssel sein.
Verstärktes Anwerben von KI-Talenten ist die eine Sache, Fortbildungsangebote für Fachkräfte zu ermöglichen, ein anderer wichtiger Fokuspunkt. Sie bieten verschiedene Lehrgänge und Zertifikate für KMUs an, etwa KI-Manager oder KI-Scouts. Welche Kompetenzen sollen den Teilnehmenden vermittelt werden und wie kommt das Programm an?
Auch wenn es hier und da wilde Zukunftsszenarien gibt, reden wir heutzutage doch in erster Linie von KI-Tools und damit einhergehend neuen technischen Möglichkeiten, um Arbeitsprozesse zu automatisieren oder Mitarbeitende zu unterstützen. Das heißt einerseits, dass jede KI klar definierte Aufgaben und Einsatzgebiete braucht und andererseits einen kompetenten Menschen dahinter, der diese KI-Tools zielgerichtet zu nutzen und/oder zu entwickeln weiß.
Die IHK Berlin hat deshalb ihr Fort- und Weiterbildungsprogramm im Themengebiet KI in den letzten Monaten kontinuierlich ausgebaut. Unsere Kurse vermitteln einerseits grundlegende Kompetenzen zum Verständnis von KI-Technologien, deren Anwendungsmöglichkeiten und zum sicheren Umgang mit KI im Geschäftsalltag. Andererseits sollen die Teilnehmenden lernen, KI-Potenziale für ihre jeweiligen Betriebe und Unternehmensprozesse zu erkennen, Strategien und Projekte zu entwickeln und konkrete Anwendungen selbst zu implementieren. Einige der KI-Kurse wie bspw. der „KI-Manager“ sind noch recht frisch im Programm, aber das bisherige Feedback der Teilnehmenden ist durchweg positiv, und wir sehen eine wachsende Nachfrage nach diesen Qualifikationen.
Mit dem Digital Education Lab haben wir bei uns im Ludwig Erhard Haus außerdem einen Ort geschaffen, an dem sich Wirtschaft, Wissenschaft und Bildungseinrichtungen über digitale Lösungen für die Aus- und Weiterbildung, Qualifizierung austauschen und vernetzen. Gerade im Bereich KI-Kompetenzen und deren Vermittlung ist hier einiges in der Pipeline und wir arbeiten mit verschiedenen Partnerinnen und Partnern zusammen, um Berliner Unternehmen gemeinsam ein möglichst breites und spannendes Portfolio bieten zu können.
Am 6. November 2024 findet erstmals das „Zukunftsforum KI“ statt. Welche Ziele verfolgen Sie mit diesem Event, welchen thematischen Fokus wird es geben und welche Erwartungen haben Sie an die Veranstaltung in Bezug auf die Stärkung des Berliner KI-Ökosystems?
Mit unserem ganztägigen „Zukunftsforum KI“ möchten wir das große Potenzial des KI-Standortes Berlin sichtbar machen und eine Plattform für den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik schaffen. Natürlich gibt es gerade im Herbst wieder viele Events in der Hauptstadt und auch verschiedene Konferenzen, die sich mit KI-Themen befassen, stehen an. Was unser Zukunftsforum KI allerdings davon abhebt, ist, dass wir die politischen Diskussionen und Gespräche zu KI-Einsatzmöglichkeiten auf die Berlin-Ebene herunterziehen und ganz konkret schauen, was hier bei uns in der Hauptstadt alles passiert – und was noch passieren sollte.
Wir haben bereits darüber gesprochen, wie vielversprechend Berlin dank seiner KI-Spitzenforschung, vielseitigen Start-Up-Community und innovativem Mittelstand aufgestellt ist. Diese Stränge und cleveren Köpfe gilt es nun zusammenzubringen, damit wir in Berlin nicht nur in einzelnen Silos denken, sondern dieses herausragende KI-Ökosystem als ein Netzwerk von starken Partnerinnen und Partnern begreifen. Als IHK Berlin ist genau das unsere Aufgabe: Wir wollen Brücken bauen und Rahmenbedingungen schaffen, damit Wirtschaft, Wissenschaft und Politik miteinander sprechen und aktiv die Zukunft des KI-Standortes gestalten. Uns freut daher ganz besonders, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, sowie Dr. Anna Christmann, Beauftragte des BMWK für die Digitale Wirtschaft und Start-ups das Zukunftsforum mit ihren Perspektiven bereichern werden. Außerdem haben wir mit dem BIFOLD und K.I.E.Z. zwei Kooperationspartner an Bord, mit denen wir viele großartige Speakerinnen und Speaker aus der Berliner KI-Forschung bzw. Startup-Szene gewinnen konnten.
Neben politischen Diskussionen soll es hier viel um die Vernetzung und den Wissenstransfer der Berliner Akteure gehen, bei dem spannende KI-Innovationen made-in-Berlin und Anwendungsfelder aus- und für die Wirtschaft präsentiert werden. Was können Teilnehmer*innen hierzu erwarten?
Genau, bei dem Zukunftsforum wollen wir natürlich nicht nur abstrakt über KI sprechen, sondern unseren Gästen aus der Berliner Wirtschaft vor allem auch die Möglichkeit bieten, sich über ganz konkrete KI-Anwendungsfelder und innovative KI-Lösungen im Unternehmenskontext zu informieren und sich auszutauschen. Das Zukunftsforum bietet ein spannendes Vortrags- und Workshopprogramm mit insgesamt über 50 Speakerinnen und Speakern auf drei Bühnen, in dem wir uns beispielsweise damit befassen, wie KMU generative KI einsetzen können, wie KI in Produktion und Fertigung unterstützen kann oder wie wir mithilfe von KI Geschäftsprozesse nachhaltiger gestalten können – und das Ganze tatsächlich mit tollen Innovationen „made-in-Berlin“.
Daneben erwartet sie in unserer Passage im Ludwig-Erhard-Haus außerdem ein Ausstellungsbereich, in dem sich wichtige Berliner Multiplikatoren, KI-Forschungsprojekte und Unterstützungsangebote für KMU präsentieren werden. Und selbstverständlich möchten wir unsere Gäste dazu einladen, den Tag zu nutzen, um auch abseits des offiziellen Programms interessante Gespräche zu führen und sich untereinander zu vernetzen. Also: Melden Sie sich an! Die Teilnahme ist kostenfrei.
Zum Abschluss: Bei einer sich so rasant entwickelnden Technologie wie der Künstlichen Intelligenz sind Prognosen oft schwierig, aber schauen wir dennoch in die nähere Zukunft: Welches Resultat einer IHK-Studie zur Digitalisierung der Berliner Wirtschaft 2030 würden Sie sich wünschen?
Wenn wir im Jahr 2030 unsere jährliche IHK-Digitalisierungsumfrage in der Berliner Wirtschaft durchführen, hoffe ich, dass Berlin seine Position als führender digitaler Innovationsstandort gefestigt hat, mit einer florierenden Wirtschaft, die durch den Einsatz von KI weiterhin wächst und gedeiht. Vielleicht müssen wir dann auch gar nicht mehr gesondert nach den KI-Projekten in den Betrieben fragen, sondern KI ist dann schon so weit verbreitet, dass wir es als selbstverständliches Feature von digitalen Prozessen sehen. Genauso wichtig wäre dabei jedoch, dass auch die digitale Bildung und die Vermittlung von digitalen Kernkompetenzen schrittgehalten haben, damit Schulkinder, Mitarbeitende aber ebenso die Geschäftsführungen im Jahr 2030 KI-Technologien sicher, effizient und kreativ nutzen können.
Vielen Dank für das Gespräch