Falsche Therapien sind ein großes Problem im Gesundheitswesen. Laut WHO erhält jede*r zehnte Patient*in eine falsche Behandlung, was zu unnötigem Leiden und oft auch zum Tod führt. RAMPmedical ist ein von der EU ausgezeichnetes KI-Entscheidungshilfe-Tool, das Ärzt*innen hilft, die richtige Behandlung für ihre Patient*innen zu finden. Die Software, die bereits endokrinologische und kardiologische Behandlungen abdeckt, gleicht Patient*innendaten mit Evidenz und Behandlungsrichtlinien ab und überlässt die endgültige Entscheidung dem umfassend informierten und KI-gestützten Arzt. Wir haben mit Helene Schönewolf, CEO des jungen Berliner Startups, über ihre innovative Lösung, die Zusammenarbeit mit den Siemens Healthineers und die Verknüpfung von künstlicher und menschlicher Intelligenz gesprochen.
Hallo Frau Schönewolf. Springen wir direkt ins Thema: Wie kam die Idee mit RAMPmedical?
Ich arbeite schon lange im Gesundheitswesen, bin als Kind einer Ärztefamilie auch darin aufgewachsen und gehöre auch selbst zu den medizinischen Fachkreisen. Immer wieder bin ich darauf gestoßen, dass doch relativ alltäglich medizinische Fehler passieren. Nicht, dass wir nicht unheimlich gut ausgebildete Mediziner haben. Die Medizin ist einfach unendlich komplex und die Forschung schreitet schneller voran, als dass irgendjemand sie noch greifen könnte – zumindest nicht so, dass keine Fehler passieren. Mir kam irgendwann ein unaushaltbarer Gedanke: Jemand, es könnten Sie sein, bekommt ein falsches Medikament für eine schwere Krankheit, obwohl das richtige Medikament zur Verfügung stünde, und das nur, weil das Wissen dazu so unüberschaubar geworden ist. Auch in meiner Familie ist schon jemand daran gestorben. Wir erwarten von Ärzten alles zu wissen, doch die wenigsten Ärzte können sich den Luxus erlauben, stundenlang zu einem Patienten zu recherchieren. Auch unsere Behandlungsleitlinien und mögliche Erstattungen sind praktisch angelegt. Mit meinem Mitgründer Jacques Ehret, der damals an seiner Doktorarbeit im Bereich AI und Diabetes arbeitete, mussten wir eine Lösung dafür finden.
Laut WHO erhält jeder zehnte Patient eine falsche Behandlung – mit gravierenden Folgen. Wie kann ihre KI-Lösung entscheidend weiterhelfen und zwischen einer falschen und richtigen Behandlung unterscheiden?
Wir haben die Überlegungen, die ein Arzt trifft, um eine richtige Therapie zu finden, in Software übersetzt. Der Arzt erfasst die Details zum Patienten, muss Zusammenhänge verstehen, die aktuelle Studienlage einbeziehen und interpretieren, den hunderte Seiten langen Behandlungsleitlinien folgen und zwischen den einzelnen Therapiemöglichkeiten abwägen. All diese Schritte haben wir mit Hilfe von simplen Algorithmen bis hin zu State-of-the-Art-KI gelöst. Fehler werden vermieden und Ärzten wird kommuniziert, warum welche Therapien falsch wären. Optimale und leicht suboptimale Therapien werden für den Arzt vorsortiert und mit Vergleichsparametern dargestellt.
In einigen Fällen handelt es sich ja – wie auch ohne KI-Unterstützung – um Empfehlungen, die über Leben und Tod entscheiden. Wie sieht es da mit den rechtlichen Fragen aus?
In der Tat kann eine übersehene Gegenanzeige, wie beispielsweise Makrolidantibiotika bei einigen Herzkrankheiten, zum Tod führen. Doch unsere Software funktioniert als Erinnerungshilfe. Dass bei einer koronaren Herzkrankheit bestimmte Antibiotika, nämlich Makrolidantibiotika, nur gegeben werden sollten, wenn nichts anderes verfügbar ist, haben die Ärzte einmal gelernt. Nehmen wir an, unsere Software hat einen Fehler und übersieht diesen Punkt und der Arzt verschreibt dieses Medikament, dann hat der Arzt es auch übersehen. Die letzte Entscheidung bleibt beim Arzt. So ist es designt – und so soll es auch bleiben.
Wie ist ihr Team aufgestellt und welche Expertisen bringt es mit?
Ich habe glücklicherweise ein ganz tolles, freundliches und extrem kompetentes Team. Jacques Ehret und ich haben die Firma vor sechs Jahren gegründet. Jacques ist Chemoinformatiker und In-Silico-Drug-Designer [Anm. Red.: computergestützter Arzneimitteldesigner]. Er hat bereits zwei EU-Förderungen für seine KI-Forschung bekommen – eine zu Diabetes und eine zu Nanopartikeln.
Ich habe zehn Jahre vor der Gründung an verschiedenen Ebenen im Gesundheitswesen gearbeitet: im Krankenhaus, im Pharmamarketing, MedTech Business Development und Sales, auch international. An der Uni habe ich alles validiert, was man in der Branche wissen muss, vom Rechnungswesen, über Marketing und Volkswirtschaftslehre, bis hin zu Programmierung, Recht und Chemie. Irgendwann habe ich mich bei der IHK prüfen lassen, um offiziell zu den medizinischen Fachkreisen zu gehören. Ich mag es, mich gerne in jedem Bereich auf Augenhöhe unterhalten zu können.
Darüber hinaus arbeiten wir in der Firma mit weiteren Programmierern und eng mit Ärzten als Beratern zusammen. Außerdem haben sich ein paar Experten als unsere Mentoren bereit erklärt, sowie nicht zuletzt unsere engagierten Shareholder.
Sie kooperieren seit Kurzem mit den Siemens Healthineers. Wie kam dies zustande und wo kommt ihre Lösung allgemein bisher zum Einsatz?
Die Kooperation kam über Flying Health zustande. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Siemens Healthineers nach einer Decision-Support-Software gesucht. Walter Schmid von Siemens Healthineers hat gleich unser Produkt verstanden, er war schließlich selbst in ähnliche, interne Projekte involviert. Das ist für uns gut, weil die Komplexität unserer Software nicht immer für alle leicht nachvollziehbar ist.
Unsere Lösung ist in die von Siemens Healthineers technisch tief integriert worden. Das bedeutet, dass Kunden, die die Siemenslösung nutzen wollen, auch unsere Software, vereinfacht gesagt, mit einem Knopfdruck nutzen können. Das ist extrem wichtig, weil Krankenhäuser sehr begrenzte Kapazitäten haben, um Software zu integrieren.
Wo liegen Chancen und Risiken – vor allem in Bezug auf unterschiedlichste Krankenversicherungs- und Krankenhaussysteme?
Wir können, wie mit Siemens Healthineers, auf einen Knopfdruck allen Patienten, deren Daten in den Systemen sind, eine höhere Therapiesicherheit zur Verfügung stellen. Doch nicht alle reagieren so schnell wie Siemens Healthineers. Viele haben einen noch weit entfernten Problemfokus. In Konzernen gibt es für die einzelnen Mitarbeiter oft andere Prioritäten, wie etwa ein kleineres Projekt zu realisieren, das der Mitarbeiter versteht und schnell umsetzen kann. Wir sind eine Software, die komplex ist und tief integriert werden muss, weil sie den ganzen Patienten verstehen muss. Dafür hat sie einen großen ideellen Mehrwert, aber auch einen finanziellen. Falsche Therapien sind nämlich teuer für Krankenhäuser. Und diese Möglichkeit, über bessere Therapieentscheidungen auch Kosten zu sparen, kommt langsam an und ist nun einmal das, was in diesem System dazu führt, dass Krankenhäuser sich den Aufwand dann leisten können. Und was Krankenhäuser sich leisten können und wollen, ist ausschlaggebend für Krankenhaussystemanbieter.
Wir haben mit Krankenversicherungen wenig zu tun, weil diese nicht im Bereich der Digitalen Gesundheitsapps sind, also keine Anwendung für Patienten haben. Alles andere ist zu aufwändig für ein Startup wie uns. Als Patient würde ich mir wünschen, dass die Krankenversicherung die Kosten für uns übernimmt. Ich denke, die Versicherung sollte zahlen, was mich gesund macht oder hält. Aber vielleicht ändert sich das noch. Wir halten definitiv ein Auge drauf.
Wir reden hier ja von der Verarbeitung von hochsensiblen medizinischen Patient*innendaten. Wie ist es um die Datensicherheit Ihrer Lösung bestellt – Stichwort Data Leak?
Wenn Sie Ihre Daten in unserer Lösung haben, brauchen Sie sich keine Gedanken machen, dass jemand sie bekommt, der es nicht sollte. Klar kann immer etwas passieren, z. B. dass jemand im Krankenhaus einbricht, zufällig alle Zugangsdaten bekommt und Ihre Daten ausliest. Da kann jemand aber auch bei Ihnen zu Hause einbrechen oder in einer Arztpraxis mit Papierakten.
Bei unserer Lösung lagern Daten DSGVO-konform auf deutschen Servern der Telekom und sind auf verschiedene Datenbanken aufgeteilt, komplett anonymisiert, teilweise verschlüsselt. Es können nie alle Daten verschlüsselt sein, wenn man mit den Daten etwas machen möchte. Und wir möchten Ihre Daten gerne prüfen, ob alles in Ordnung ist. Außerdem habe ich auch meine persönlichen Daten und die meiner Familie in unserer Software. Glauben Sie mir, ich bewahre Sie so sicher wie möglich auf.
Der Erfolg eines Projekts steht und fällt natürlich oftmals mit einer Förderung oder Auszeichnung. Bei Ihnen hat das ja bisher ganz hervorragend geklappt...
Sie hätten es nicht besser formulieren können. Die Mitarbeiter der IBB haben extrem viel Aufwand betrieben, um unser Projekt zu unterstützen und ich bin dafür unendlich dankbar! Unsere Software hat zuvor in kleinen medizinischen Teilbereichen funktioniert, weil der Ausbau jedes Bereichs extrem aufwändig ist. Jeder Bereich muss über Monate hinweg erarbeitet, dann fachlich validiert und zertifiziert werden. Immer wieder gibt es Anpassungen. Benutzeroberflächen müssen geschaffen werden, damit unsere Software tatsächlich in die ärztlichen Prozesse passen. Das alles ist vorab extrem teuer, bevor tatsächlich Umsatz generiert werden kann. Wir schaffen eine enorme IP, eine Software, die einem keiner so schnell nachbaut – dazu ist nämlich eine Förderung nötig. Kaum ein privater, großer Investor nimmt frühe experimentelle Phasen in Kauf – oder dass der große Umsatz wegen langer Entwicklungsphase noch lange Zeit braucht. Doch Software mit Alleinstellungsmerkmal und Marktreife ist extrem umsatzträchtig.
Wie sieht es bei der Innovationsfähigkeit des Berliner Ökosystems aus – mit besonderem Augenmerk auf den Bereich KI-Health?
Volkswirtschaftlich gesehen braucht Berlin Innovationen. Innovation ist die einzige Möglichkeit für Wirtschaftswachstum. Ich kenne einige tolle Startups, die in Berlin entstanden sind. Berlin ist so ein kulturell vielfältiger und offener Ort, an dem man kreative Lösungen finden kann. Ich hoffe, es bleibt so.